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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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zu.
    »Wir sind hier, um einander zuzuhören und zu helfen.«
    Sie sind äußerst gehorsam. Noch bloße Jungen. Ihre Kommandanten hatten die Elternrolle bei ihnen eingenommen, und jetzt schauen sie zu Adrian auf. Keiner von ihnen hat je den Zweck der Sitzungen infrage gestellt oder über die Freiwilligkeit seiner Teilnahme nachgedacht. Sie haben einfach getan, was man ihnen sagte, wie sie das schon immer getan haben. Die Anstrengung des Gehorchenwollens veranlasst Adecali jetzt, seine Stirn zu massieren.
    »Ich träume. Solche Träume, dass ich Angst habe einzuschlafen. Aber d-d-d-die ergeben keinen Sinn. Manchmal kommen die am Tag, manchmal nachts.« Seine Finger arbeiten sich an seiner Stirn ab. »Manchmal riech ich etwas, was gar nicht da ist.«
    »Lassen Sie sich Zeit.« Adrian bemüht sich, Adecali bei allen Hilfestellungen nicht zu überfordern.
    »Ich riech gebratenes Fleisch. Ich hör Geschrei und Gehämmer. Und dann riech ich gebratenes Fleisch.«
    Am Nachmittag hat Adrian ein Treffen mit Attila. Auf dem Weg zu dessen Büro zwingt er sich, seine Schultern zu entspannen, seine Lungen mit tiefen Atemzügen von seefeuchter Luft zu füllen, während er an den Zierpalmen vorbeigeht, deren gewaltige Wedel sich im Wind bewegen und dabei ein knatterndes Geräusch erzeugen, das ihn, wie schon beim ersten Mal, an die Spinnaker der Jachten am Kai von Norwich erinnert. Hoch oben am Himmel kreisen zwei Geier im Aufwind.
    Fünf Minuten später sitzt er Attila gegenüber. Attila sitzt in seinen Stuhl zurückgelehnt, Ellbogen auf dem Tisch, die Finger verschränkt, und mustert Adrian nachdenklich aus schwer verhängten Augen. Er spielt gern Katz und Maus, denkt Adrian. Trotzdem musste man schon zugeben, dass der Chefpsychiater Adrian zwar mehr oder weniger ignoriert hatte, ihm andererseits in der Anstalt auch weitgehend freie Hand gelassen, ihm keine Steine in den Weg gelegt hatte. Adrian räuspert sich und fängt an zu sprechen, beschreibt seine Sitzungen, deren Natur, die Patienten, die er zur Teilnahme ausgewählt hat, und die Gründe für seine Wahl. Dass seine Entscheidung weitgehend von dem Kriterium bestimmt wurde, ob sie überhaupt Englisch sprachen, lässt er jetzt unerwähnt. Attila hört schweigend zu.
    Als Adrian zu Ende geredet hat, wartet er auf Attilas Reaktion und bemerkt zum ersten Mal die blanken Schatten unter den Augen des Mannes. Trotz seines robusten Körperbaus wirkt er erschöpft. Attila beugt sich vor und rückt einen Stift vier, fünf Zentimeter auf dem Schreibtisch weiter, schiebt ein, zwei Akten ein bisschen herum. Alles nur Theater, denkt Adrian, diese schwerfällige Bedächtigkeit. Attila ist listig und schnell und gescheit. Er tut, was er tut, mit großer Hingabe. Kein anderer würde diesen Job machen.
    Adrian mag ihn, er wünscht, er könnte es ihm sagen.
    »Was hoffen Sie, durch diese Sitzungen zu erreichen?«
    Die Katze stupst die Maus an.
    »Die Männer zur Normalität zurückzuführen – zu einem gewissen Grad von Normalität. Sodass sie ihr eigenes Leben führen können. Alles erreichen, was jeder andere erwarten darf, erreichen zu können.«
    »Und das wäre?«
    »Wie bitte?«
    »Was genau dürfen sie erwarten, erreichen zu können?«
    »Bei einem Job zu bleiben. Beziehungen einzugehen. Zu heiraten und Kinder zu haben.«
    Attila nickt rasch. Plötzlich legt er die Hände flach auf den Schreibtisch und stemmt sich hoch. »Ich muss ins Gesundheitsministerium zu einer Besprechung. Warum fahren Sie nicht einfach mit?«
    Adrian, der einiges zu tun hätte, wovon allerdings nichts als dringend bezeichnet werden kann, spürt, dass in diesem Augenblick Entgegenkommen empfehlenswert wäre. Es ist im Interesse seiner Beziehung zu diesem unbeholfenen schwerblütigen Mann.
    »Gern.«
    Adrian folgt Attila hinaus, wartet, während er aus einem großen Bund einen Schlüssel heraussucht und damit die Tür seines Büros abschließt, und folgt ihm dann zum Haupttor des Anstaltsgeländes. Attila schiebt seinen massigen Körper hinter das Lenkrad seines Autos, Adrian gleitet auf den Beifahrersitz. Sie fahren durch das Stadtzentrum, an der Straße vorbei, die zum alten Kaufhaus führt. Es ist heiß, und Attilas Auto hat keine Klimaanlage. Adrian spürt den Schweiß an seinem Hemd und an der Rückseite seiner Oberschenkel.
    Jetzt, wo sie das Straßenraster verlassen haben, fließt der Verkehr gleichmäßiger; durch die Fenster zieht eine leichte Brise herein. Sie wäre Adrian im Prinzip willkommen, nur

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