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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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die dünnen Männer kamen.
    Das ist das, woran sich Mohammed im Zusammenhang mit Naasu erinnert.
    Am Markttag stand Binta um sechs Uhr früh auf, zog sich an und wusch sich am Eimer in der Ecke des Hofes. Um halb sieben war sie bereit, mit ihrem kleinen Korb Gurken und Tomaten die halbe Meile in die Stadt zu laufen. Das war der Teil des Tages, den sie am liebsten mochte, den Frieden und die Stille, wenn sie auf dem Weg in die Stadt an den Zuckerrohrfeldern entlangging. Binnen einer Stunde würde die Sonne genug Kraft haben, um den Tau zu trocknen, Dunstspiralen aus der Erde zu ziehen. Als Binta an den Alleen von Zuckerrohr entlangging, sah sie Schatten, die sich zwischen den Reihen bewegten. Jemandes Ziegen mussten ausgebrochen sein.
    Am Stadtrand kam sie an Agnes vorbei, die in ihrem Gemüsegarten arbeitete. Sie riefen einander zu. »Ng’ dirai?« Agnes’ Mann stand weiter hinten; die aufgehende Sonne verlieh seiner Gestalt einen dunklen Umriss. Er war zu weit entfernt, als dass Binta ihn hätte grüßen können, also ging sie mit raschem Schritt weiter in der Hoffnung, Agnes, deren Tomaten immer so fleischig und blank waren, die erste Kundin wegzuschnappen.
    Um acht war Bintas Stand fertig aufgebaut, und die ersten Käuferinnen waren bereits aufgetaucht. Agnes war auch da, zwei Stände von Binta entfernt. Eine Kundin ließ eine Tomate fallen, und Binta bückte sich, um sie aufzuheben, und sah zu ihrer Verärgerung, dass sie angeschlagen und die Haut aufgeplatzt war. Während sie den Kopf unter dem Stand hatte, hörte sie Schüsse. Sie hatte so etwas schon früher gehört, aber niemals so nah. Ringsum schreckten die Leute beim Geräusch zusammen und setzten sich in Bewegung, manche in die eine und manche in die andere Richtung, wie eine Herde von Schafen auf einer Straße, ungewiss, in welcher Richtung die Rettung lag. Am Ende blieben sie reglos stehen.
    Eine Gruppe von Männern trat auf den Platz; einer sprach in ein Megafon, forderte die Leute auf, sich auf dem Marktplatz zu versammeln. Dieser Mann trug einen Kampfanzug und sah wie ein Soldat aus. Aber die Männer, die ihn begleiteten, sahen nicht wie Soldaten aus. Soldaten bekamen mehr Reis als jeder andere im Land, und das zeigte sich an ihrer Körpermasse. Diese Männer dagegen waren schmal und eckig, merkwürdig gekleidet. Am Hals Schmuck und Amulette, Patronenstreifen als Halsketten, dazu Sonnenbrillen. Andere waren barfuß und in Lumpen gekleidet. Seltsame, dünne Männer. Sie erinnerten Binta an die Marionetten in den Vorstellungen, zu denen man sie als Kind gebracht hatte. Sie hatte sich schon damals vor ihnen gefürchtet. Die dünnen Männer liefen von Haus zu Haus, hämmerten gegen die Türen und befahlen den Menschen herauszukommen. Es ertönten weitere Schüsse, das Geräusch von zersplitterndem Holz, es roch nach Rauch.
    Der Mann mit dem Megafon befahl allen, sich zu setzen. Immer mehr Menschen kamen auf den Platz und wurden zu Boden gestoßen. Am Ende standen nur noch der Mann mit dem Megafon und seine Männer. Er gab seinen Namen, Oberst JaJa, bekannt und fing an zu sprechen. Anfangs klang das, was er sagte, für sie wie eine politische Ansprache, mit Wörtern wie »Regierung« und »Wahlen«. Er erklärte ihnen, die Regierung hätte das Volk verraten, und er nannte einen Namen, den sie bis dahin nur in den Zeitungen gelesen hatte.
    Und da begriff sie, wer diese Leute waren, und sie vermutete, dass alle anderen das ebenfalls begriffen.
    Binta bekam einen trockenen Mund.
    Oberst JaJa brüllte einen Befehl, und vier seiner Männer traten mit zwei an Stangen aufgehängten Bambuskäfigen vor. In diesen Käfigen hockte, auf engem Raum zusammengekauert, jeweils ein Mann. Eine der Kisten wurde geöffnet und der Mann herausgeholt, ein regulärer Soldat, erriet Binta anhand dessen, was von seiner Uniform übrig war. Er hatte Mühe, aufrecht zu stehen, und presste die Hand an die Seite, wo an der Uniform ein dunkler Fleck zu sehen war. Ein um seine Taille gebundener Strick führte zu einem von JaJas Männern, der daran zog. Der Mann am anderen Ende des Stricks leistete keinen Widerstand und stolperte ihm lediglich nach, den Kopf gesenkt wie bei einem Kind, das Stier spielt. Der Kommandant nahm das Megafon von den Lippen, und seine Worte waren für Binta nicht zu hören. Sie war unfähig, den Blick vom Soldaten zu wenden. Sie bekam nicht mit, wie die Hand sich zum Koppel bewegte, die Waffe gezogen wurde, JaJa lässig zielte und dann dem Soldaten in den Kopf

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