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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Albträume als sonst gehabt. Und obwohl es seine Träume, seine Erfahrungen waren, hatten sie für ihn irgendwie mit Agnes zu tun.
    Auf dem Tisch liegt eins von Adrians Fachbüchern. Kai nimmt es in die Hand, und es öffnet sich an der Stelle, wo der Rücken gebrochen ist. Müßig dreht er das Buch herum und liest den Titel. Geschichte der psychischen Erkrankungen . Kai kehrt zum Text zurück und liest, von Adrians Anstreichungen und Randbemerkungen geführt, erst zerstreut, dann mit größerem Interesse:
    Fugue. Gekennzeichnet durch ein plötzliches, unerwartetes Verlassen der vertrauten Umgebung. Unbeherrschbarer Wandertrieb, oft vergesellschaftet mit einer folgenden Amnesie. Eine selten diagnostizierte dissoziative Störung, bei der die Psyche einen alternativen Zustand erschafft. Dieser Zustand kann als eine Stätte der Sicherheit, ein Zufluchtsort betrachtet werden.
    Im Lauf seines Berufslebens hat Kai Menschen mit grauenvollen Verletzungen im Krankenhaus ankommen sehen, mit Wunden, bei denen man es nicht für möglich hielt, dass die Opfer noch bei Bewusstsein waren, geschweige denn gehen und reden konnten.
    Während des Krieges waren er und die übrigen Krankenhausmitarbeiter herausgerufen worden, damit sie die Passagiere eines gerade von den Provinzen angekommenen Lasters versorgten. Der erste Mensch, dem Kai geholfen hatte, von der Pritsche herunterzusteigen, war eine Frau, deren Hände fast vollständig abgetrennt waren, wie gebrochene Flügel an den Gelenken baumelten. Er hatte einen Mann gesehen, der, auf einem Bein hüpfend, seinen abgehackten Fuß in beiden Händen hielt. Es waren Dutzende – Männer, Frauen, Kinder. Manche hatten sich tagelang im Busch versteckt. Im OP arbeitete Kai konzentrierter, schneller und verbissener, als er es in seinem ganzen Leben getan hatte.
    Und wenn man anschließend die Überlebenden fragte, wie sie es geschafft hatten, konnte es einem keiner von ihnen sagen. Es schien so, als wären diese Tage im Wald, die Flucht zur Hauptstadt, wie in Trance vergangen. Die Psyche erschafft einen alternativen Zustand .
    Kai denkt an das Gespräch zurück, das er in der Nacht nach dem Überfall, hier in der Küche, mit Adrian geführt hat. Damals hatte Kai angenommen, JaJa sei ein gewöhnlicher Ganove gewesen, ein Drogenschmuggler. Er hatte keine rechte Vorstellung von Agnes’ Krankheit gehabt, hatte lediglich das gewusst, was Adrian ihm erzählt hatte. Adrian sagte, dass Agnes ihre Wanderungen – die Art von Wanderungen, die in dem Buch beschrieben wurden – deswegen unternahm, weil sie nach etwas suchte.
    Doch Agnes sucht nichts.
    Sie flieht vor etwas. Sie rennt vor unerträglichen Lebensumständen davon. Will ihr Zuhause, ihre Tochter, vor allem aber JaJa hinter sich lassen. Der Unterschied zwischen Agnes und den Verwundeten, die das Krankenhaus erreichen, besteht darin, dass es für Agnes keine Zuflucht, keine Möglichkeit der Rettung gibt.
    Kai legt das Buch auf den Tisch zurück. Er muss mit Adrian reden. Adrian verdient es, Bescheid zu wissen. Was immer als Nächstes kommt, wenn denn etwas kommt, ist für die Zukunft. Er wird hier auf Adrian warten.
    Er schaut auf seine Uhr. Halb drei. Mit einem Mal ist er erschöpft. Er streckt sich auf dem Sofa aus, und Minuten später ist er eingeschlafen. Bilder ziehen hinter seinen Augenlidern vorüber, eine Wüstenei von verbrannten Gebäuden, von zuckenden Gliedmaßen, manchmal Foday, der lächelnd geht, manchmal andere Leute – die aus dem Laster, ohne Hände und Füße. Balia, die junge Schwester, lächelt ihn schüchtern an. In seinen Ohren das Geschnatter des Mannes ohne Unterkiefer.
    Keinerlei Zusammenhang, nichts, was einen Albtraum ergeben würde. Nur eine Sammlung von Bildern, die vor ihm vorüberziehen.
    So schläft er.

41
    Adrian geht nach seiner Besprechung mit Mrs Mara direkt zu Elias Coles Zimmer. Die Besprechung ist nicht sonderlich gut verlaufen. Die Sauerstoffkonzentratoren sitzen beim Zoll fest.
    »Er könnte sterben«, sagte Adrian.
    »Das tut er schon die ganze Zeit«, erwiderte sie. »Es geht hier bestenfalls um ein paar zusätzliche Wochen oder Monate.«
    Vielleicht hätte er nicht drängen sollen, aber er tat es. Plötzlich verstummte Mrs Mara, ließ sich in ihren Schreibtischsessel fallen und rieb sich die Augenlider. Adrian kam sich vor wie ein Rüpel.
    Jetzt, während er den Hof überquert, hallen Erinnerungen an sein letztes Gespräch mit Mamakay nach. Hier im Land der Stummen hat Elias Cole sich dafür

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