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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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vor, je nachdem, in welchen Monat er fällt, oder Weihnachten. Manchmal kommt es allerdings schon vor. Manche Paare mögen persönliche Gründe dafür haben.
    Noch heute kann ich Saffia vor mir sehen, wie sie morgens in der Auffahrt stand, während Babagaleh Blumentöpfe hinten in den Wagen lud. Sie hatte den Variant nicht verkauft, sondern für ihren eigenen Gebrauch behalten. An dem Tag hatte sie eine Lieferung für eine Hochzeitsfeier oben in Hill Station. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich davon gewusst hatte. Wahrscheinlich eher nicht.
    Die Straße, die von unserem Haus nach Hill Station hinaufführt, empfinden die meisten auswärtigen Besucher als beängstigend. Früher einmal wurde eine Eisenbahnlinie in den Hang geschnitten. Es war eine Schmalspurbahn, mit einem einzigen Waggon, der von der Lokomotive die steilen Gleise hinaufgezogen wurde. Als die Eisenbahn durch eine Straße ersetzt wurde, behielt man die Breite der Trasse bei, nur dass der Verkehr jetzt in beide Richtungen floss. Niemand kam auf den Gedanken, die Straße durch ein Geländer zu sichern. Während der Regenzeit strömt das Wasser den Hang hinunter und spült Schlamm und Steine auf die Fahrbahn.
    Sie hatte, soweit ich später erfuhr, die Blumen ohne Zwischenfälle zugestellt und war auf dem Heimweg, in einem bestimmt fünfundzwanzig Jahre alten Wagen. Nach Angaben der Polizei war kein weiteres Fahrzeug an dem Unfall beteiligt. Niemand sonst wurde verletzt. Der einzige Augenzeuge, der Fahrer des nachfolgenden Autos, gab an, sie sei an den Rand gefahren, um einem entgegenkommenden Militärlaster Platz zu machen. Offenbar hatte sie die Tiefe der Kurve falsch eingeschätzt. Es war keine Frage, dass der Regen die Sichtweite verringerte und die Straße umso tückischer machte, denn Saffia war eine ausgezeichnete Fahrerin. Der Wagen rollte dreißig Meter den Hang hinunter. Sie war nicht angeschnallt, ich glaube nicht, dass der Variant überhaupt mit Gurten ausgerüstet war. Sie trug nur minimale äußere Verletzungen davon; doch sie brach sich das Genick.
    Die Polizei dachte nicht daran, solange es regnete, hinauszufahren. Ein Bewohner einer der Hütten am Hang erkannte den Wagen. Er schickte seinen Sohn zu unserem Haus, und der traf dort Babagaleh an. Mittlerweile war sie bereits tot. Unmöglich, während des Wolkenbruchs den Leichnam zu bergen. Babagaleh rannte zum Campus. Ich war nicht dort. Dafür lief ihm meine Tochter über den Weg. Allein die Tatsache, dass er auf dem Campus auftauchte, verriet ihr, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste.
    Später überbrachte Babagaleh auch mir die Nachricht. Irgendwie wusste er, wo er mich suchen musste. Ich habe keine Ahnung, woher.
    Er unterbricht seine Erzählung, dreht den Kopf auf dem Kissen herum.
    »Würden Sie mir das da bitte reichen.« Er streckt die Hand aus.
    Adrian steht auf und nimmt ein gerahmtes Foto in die Hand. Er macht Anstalten, es Elias Cole zu geben.
    »Nein, ich meinte für Sie.«
    Adrian schaut sich die Fotografie an, erwartet ein Bild von Saffia zu sehen. Stattdessen starrt er auf ein Bild von Mamakay, aufgenommen, als sie etwa sechzehn gewesen sein muss. Sie schaut leicht misstrauisch in die Kamera; hinter dem Ausdruck jugendlichen Trotzes derselbe unbeteiligt-abschätzige Blick, den sie gelegentlich noch immer zeigt. Sie sitzt zurückgelehnt in ihrem Sessel, ihr Körper ist vom Fotografen abgewandt, während ihr Blick auf ihn gerichtet ist. Ihr Ellbogen ruht auf der Armlehne, das steife Gewebe ihres Gewands bauscht sich ungleichmäßig über einer Schulter und rutscht von der anderen hinunter. Eine dünne Halskette schmiegt sich in die Konturen ihres Schlüsselbeins und verschwindet im Ausschnitt ihres Kleids. Ihr Haar ist in ein schweres, kunstvoll geknotetes Kopftuch gewickelt, das farblich und im Muster mit ihrem Kleid übereinstimmt. Sie lächelt nicht, und zwischen ihren Augenbrauen ist der leichte Schmierfleck einer Falte zu erkennen. Dennoch sieht Adrian keinerlei Strenge in ihrer Miene. Vielmehr scheint sie die Situation abzuschätzen, den Fotoapparat zu mustern, und durch dessen Objektiv diejenigen, die sie möglicherweise irgendwann in der Zukunft betrachten werden. Ihr Ausdruck lässt vermuten, dass sie sich eher damit abfindet, fotografiert zu werden, als dass sie aktiv an dem Vorgang beteiligt wäre. Sie derart zu sehen, und so unerwartet, bringt Adrian vorübergehend aus dem inneren Gleichgewicht. Er reißt sich zusammen und stellt die Fotografie an ihren

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