Lied aus der Vergangenheit
sie in der Regel zu Hause zu behalten, lassen sie eher von einheimischen Heilern oder Gottesmännern behandeln.«
»Nützen sie was? Die einheimischen Methoden?«, fragt er.
»Es ist einfach das Prinzip der therapeutischen Gemeinschaft, nur mit einem anderen Namen«, erwidert sie.
Die Wärterin, die ihnen seit Betreten des Raums auf Schritt und Tritt gefolgt ist, sagt etwas zu Ileana, die sofort stehen bleibt und Adrian mit erhobener Hand bedeutet, dass er warten soll. Sie geht ein paar Schritte auf eine Frau zu, die sie, düster und reglos, eine Haarbürste in der Hand, von jenseits eines Bettes aus anschaut. Ileana spricht kurz zu ihr und wendet sich zu Adrian.
»Diese hier kann nicht gut mit Männern. Offenbar gab es hier neulich etwas Ärger mit ihr. Ich war nicht informiert. Wenn Sie genug gesehen haben, könnten wir eigentlich gehen.«
»Klar.«
Ileana erteilt der Wärterin Instruktionen bezüglich der Medikation der Patientin. Adrian wartet und sieht sich dabei um. Auf einem der Betten liegt eine Frau auf der Seite, zusammengerollt, die Hände unter dem Kinn, die Augen offen und ins Leere starrend. Er macht einen Schritt nach vorn und mustert sie, tritt aber nicht näher – nicht so sehr um seine eigene Sicherheit besorgt als darum, Ileanas Autorität zu untergraben.
Als Ileana wieder zu ihm stößt, fragt er: »Was wissen Sie über diese Frau?« Es ist sie, da ist er sich sicher, die Frau, die zu ihm ins Krankenhaus gekommen war und die später auf der Straße an ihn herangetreten ist. Sie war dann geflohen und nie zurückgekommen.
Ileana legt den Kopf schief und mustert das Gesicht der Frau. »Ich hab sie noch nie gesehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Es ist vor allem Attila, der sich um die Frauenstation kümmert.« Sie wendet sich an die Wärterin, spricht mit ihr im örtlichen Dialekt.
»Sie wurde vor zwei Tagen aufgenommen.« Sie dolmetscht stockend, konzentriert sich hauptsächlich darauf, der Frau zuzuhören. »Jemand hat sie hergebracht. Sie ist sich nicht sicher, wer es war, aber jedenfalls kein Angehöriger. Jemand von der Straße. Sie ist anscheinend verwirrt.« Eine Pause. »Das ist alles.« Sie will schon weitergehen, als die Wärterin wieder spricht, etwas sagt, was Ileana veranlasst, die Augenbrauen zu heben und einen leicht überraschten Grunzlaut von sich zu geben. »Etwa alle paar Monate. Sie taucht alle paar Monate hier auf. Ist offenbar Stammgast.«
Durch die offene Bürotür kann Adrian Attila über seinen Schreibtisch gebeugt sitzen sehen. Glücklicherweise ist er allein. Adrian klopft leise an. Er ist plötzlich nervös: die Erinnerung an das vorherige Verhalten des Mannes und jetzt außerdem die Möglichkeit, abgewiesen zu werden. Der Mann hat schließlich keinen Grund, Ja zu sagen, außer aus Höflichkeit einem Berufskollegen gegenüber. Adrians Krümel von Hoffnung stützt sich darauf, dass Attila es so sehen könnte. Beim zweiten Klopfen winkt ihn Attila herein, ohne aufzuschauen, und zeigt auf einen freien Stuhl. Adrian gehorcht. Attila zeichnet das vor ihm liegende Dokument ab und steht auf, das Blatt in der Hand.
»Einen Moment«, sagt er zu Adrian. »Salia!«
Einen Augenblick später gleitet der Pfleger ins Bild, und Attila reicht ihm das Blatt, gibt ihm dazu irgendwelche Anweisungen. Er kommt zurück, setzt sich an den Schreibtisch und betrachtet Adrian ohne eine erkennbare Spur von Wärme.
»Was kann ich für Sie tun?«
Plötzlich ist sich Adrian unschlüssig, ob er sich überhaupt nach der Frau erkundigen soll, aber irgendetwas muss er jetzt sagen.
»Danke, dass Sie mir erlaubt haben, mich umzusehen.«
»War mir ein Vergnügen«, erwidert Attila und neigt den Kopf, ohne zu lächeln, als meine er das nicht im Geringsten so. Er lehnt sich zurück, die Hände flach auf dem Schreibtisch, und wartet.
»Es gibt da eine Patientin.« Adrian kommt direkt zum Thema. »Sie wurde vor ein paar Tagen aufgenommen. Wie es hieß, nicht zum ersten Mal.« Er beschreibt die Frau, die er gerade gesehen hat. Attila nickt einmal, ja, er weiß, von welcher Patientin die Rede ist. Adrian fährt fort, erzählt Attila, dieselbe Frau habe ihn im Krankenhaus aufgesucht. Er entscheidet sich spontan, nichts von der Begegnung auf der Straße zu sagen. Der Psychiater hört ausdruckslos und ohne jeden Kommentar zu, bis Adrian fertig ist.
»Und wie könnte ich Ihnen nun behilflich sein?«
Adrian atmet tief ein. »Ich würde Sie gern um Erlaubnis bitten, die Frau zu untersuchen, wenn ich
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