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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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gelesen.«
    »Nein, tja …«
    »Und Sie? Ich meine, wie lange sind Sie schon hier? Zu welcher Organisation gehören Sie?«
    Sie sah ihn an, warf ihre Zigarette hin, wollte sie mit der Schuhspitze austreten, verfehlte sie aber, als die Zigarette über eine leichte Neigung davonrollte. Sie machte sich nicht die Mühe, sie zu verfolgen. Ebenso wenig, seine Frage zu beantworten. Sie hatten die grau gestrichene Tür eines langen, niedrigen scheunenartigen Gebäudes erreicht. Sie hielt kurz inne, die Hand auf der Klinke.
    »Okay. Bereit?«, sagte sie.
    Adrian nickte.
    Doch er ist nicht bereit. Nicht für das. Es gelingt ihm noch nicht, das alles zu verstehen, aber das kommt schon noch. Attilas Verhalten. Das Schweigen, das über der ganzen Anstalt lastet. Sie stellen die Patienten ruhig. Mit Sedativa und mit Ketten. Der Mann vor ihm hält die Hände ausgestreckt und umeinander geschlossen; das ist eine hier übliche Art, Hallo zu sagen, die Abbreviatur eines richtigen Handschlags. Bei dem ans Bett geketteten Mann erinnert die Geste täuschend an ein Gebet.
    »Sagen Sie dem Doktor, warum Sie hier sind«, sagt Ileana.
    »Ich hab meinen Vater geschnitten. Mein Vater hat mich hergebracht.«
    »Warum haben Sie Ihren Vater geschnitten?«
    »Er saß auf der Veranda. Das war eines Nachts. Eine böse Nacht. Ich hatte Angst. Ich hab ihn nicht geschnitten.«
    »Warum sagen Sie dann, dass Sie es getan haben?«
    »Ich hab die Wunde gesehen.«
    Später, als sie die Station verlassen, fragt Adrian: »Wie lautet die Diagnose?«
    »Psychose. Durch Drogen induziert.«
    »Und die Droge der Wahl?«
    »Meistens Cannabis. Das ist mehr oder weniger alles, was sich die Leute hier leisten könnten. Es gibt ein bisschen Heroin. Brown brown nennen die das hier. Aber es ist natürlich erheblich teurer, und es muss eingeführt werden. Bei den meisten auf dieser Station ist es die gleiche Geschichte.«
    »Alle Cannabis?«
    »Ja«, erwidert sie und sieht ihm in die Augen, als sie das Wort ausspricht. Und dann: »Er wurde vom Militärkrankenhaus hierher überführt, nachdem Attila interveniert hat. ›Im Einsatz verwundet.‹ Ich glaube, der Vater hat Attila um Hilfe gebeten.«
    »Er war also im Gefecht?«
    »Ich glaube, weiß aber nichts Genaues. Da müssten Sie schon Dr. Attila fragen. John ist seit fast zehn Jahren immer wieder mal hier. Der Krieg begann ’ 91 , und ich weiß nicht genau, wann er entlassen wurde. Mit den Drogen hat er mit Sicherheit beim Militär angefangen. Das wurde bei Rekruten ausdrücklich gefördert. ›Moralheber‹ nannten die das. Für Dr. Attila ist er einwandfrei ein Kriegsopfer.«
    »Und seine Lösung besteht jetzt also darin, den Mann angekettet zu halten.«
    Sie schaut ihn einen Moment lang schweigend an, senkt das Kinn und sieht zu Boden.
    »Sie haben anscheinend was fallen lassen«, sagt sie und deutet mit dem Finger auf den Boden.
    Sein Blick wandert zu der Stelle. Er kann nichts sehen.
    »Wo?«
    »Genau da.« Sie zeigt.
    Adrian sieht nichts außer einer Linoleumfläche, wellig und rissig. Er runzelt die Stirn. »Was ist es?«
    »Och, so um die zwei Millionen Dollar, glaube ich.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Was es kosten würde, ein angemessenes Sicherheitssystem einzurichten: Infrastruktur, Personal, Ausbildung.«
    Sie sind wieder draußen. Ileana greift in die Tasche nach Zigaretten und Feuerzeug. Sie wendet sich ab, eine Rauchfahne hinter sich herziehend.
    »Tut mir leid. Ich möchte nur etwas über die Behandlungsmethoden erfahren.«
    »Wir haben eine Methode«, sagt sie. »Wir nennen sie Kalter Entzug.«
    Ileana marschiert und raucht. Unsicher, wie er reagieren soll, geht Adrian neben ihr her und wartet darauf, dass sie noch etwas sagt, begreift, dass sie nicht die Absicht dazu hat.
    »Warum hat dann Dr. Attila gesagt …?«
    »Genau«, sagt sie, lacht kurz und lächelt ihm freudlos zu. »Jetzt fällt der Groschen. Sie hätten am Anfang hier sein müssen. Aber natürlich waren Sie’s nicht. Keiner war da. Ihr kreuzt alle erst auf, wenn’s vorbei ist. Scheiße!« Und wirft den Stummel in ein Blumenbeet.
    An ihrem Büro angelangt, schließt Ileana die Tür mit einem Schlüssel auf, den sie aus der Tasche ihres Kittels fischt, durchquert das Zimmer und stöpselt einen Wasserkocher ein.
    »In den Achtzigerjahren wurde das Land in Grund und Boden gewirtschaftet. Damals arbeitete Attila schon hier. Allein. Er studierte im Ausland und kehrte anschließend wieder zurück. Bis dahin hatte, glaube ich, ein Brite die

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