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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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darf.«
    »Gar keine Frage.«
    So einfach war das. Adrian wird bewusst, dass er die Luft angehalten hat, und atmet aus, verwundert darüber, dass er sich gestattet hat, so angespannt zu werden.
    »Kommen Sie wieder, wann immer es Ihnen passt. Ich werde Salia informieren. Sie bekommen dann Einsicht in ihre Patientenakte.«
    »Danke. Vielen herzlichen Dank.«
    »Stets zu Ihren Diensten«, sagt Attila und richtet einen unergründlichen Blick auf Adrian.
    Das genügt Adrian, und er steht auf. Als er die Tür erreicht, hat Attila seine Aufmerksamkeit bereits wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zugewandt.
    Zum zweiten Mal am selben Tag und mit Ileanas Hilfe gelingt es Adrian, ein Taxi für sich allein zu bekommen. Trotz der Hitze und der Lautsprecher, die direkt hinter seinem Kopf Rapmusik von sich geben, schwelgt er im Genuss der gesamten Breite der mit Kunststoff bezogenen Rückbank.
    Zum ersten Mal seit seiner Ankunft verspürt er ein bescheidenes Triumphgefühl.
    An einer T-Kreuzung neben einer Autowerkstatt wedelt ein Verkehrspolizist mit den Armen, lässt sie wie Windmühlenflügel kreisen. Es scheint bei jungen Rekruten Sitte zu sein, einen individuellen Stil zu entwickeln, so etwas wie eine semaphorische Signatur. Auf drei Seiten stoppt und startet der Verkehr ohne jedes System. Wie nicht anders zu erwarten, kommt es zu einem Zusammenstoß, nur Blechschaden, aber es entsteht ein Chaos, als die zwei Fahrer aussteigen und Schaulustige, darunter auch der Verkehrspolizist, einen Auflauf bilden.
    Adrians Fahrer schnaubt ärgerlich durch die Nase, dreht die Musik lauter, umfährt das Durcheinander, weicht den Autos und Menschen aus und biegt in eine Straße ein, die Adrian noch nie zuvor gesehen hat. Plötzlich ist die Fahrbahn vor ihnen frei. Adrian kurbelt das Fenster herunter und lässt die Luft herein, salzig und morastig. Zwischen den Bremsschwellen beschleunigt der Fahrer. Die Häuser enden. Nur noch ausgedehntes Buschland, das Meer und eine Brücke, die sich vor ihnen in die Ferne hinzieht. Als sie sie überqueren, sieht Adrian zur Linken einen Meeresarm, der zu offenem Sumpfland führt. Zur Rechten den Horizont, einen schnurgeraden blaugrauen Strich. Seine Gedanken kehren von der psychiatrischen Anstalt zurück.
    Die Brücke; er setzt sich auf und sieht sich jetzt richtig um. Dort drüben, die Halbinsel. Und das ist die Brücke, die Elias Cole beschrieben hat. Genau so, wie er sie beschrieben hat, da ist sich Adrian sicher.
    Julius’ Brücke.

10
    Kai macht das gern. Ist eine gute Übung für die Finger, wie Tonleiternspielen für einen Pianisten. Und Kindern macht es Spaß. Er hält den Streifen Orangenschale, die ganze zusammenhängende Haut der Frucht, in die Höhe, sodass sie zu einer natürlichen Helix auseinanderfällt, und reicht sie dem Mädchen, das dicht neben ihm auf der Bank sitzt. Er steckt sich einen Schnitz der Frucht in den Mund, gibt den nächsten einem der Kinder und verteilt so die Schnitze, bis die Orange alle ist. Das letzte Stück gibt er dem Mädchen, das neben ihm sitzt. Als er aufsteht, steht sie gleichzeitig mit ihm auf. Als er losgeht, folgt sie ihm wie ein Schatten, einen Schritt hinter ihm. Bums, scharr, ihr Bambusgehgestell vor sich herschiebend. Er dreht sich um und geht in die Hocke, schiebt einen Finger versuchsweise zwischen ihr Bein und den Gips.
    »Gut?«
    Ein Nicken.
    Er geht durch die Kinderstation, die noch immer mit den Überresten der Weihnachtsdekoration geschmückt ist, Rauschgold und bunten Luftschlangen. Diesmal hatte es Geschenke gegeben, gespendet von einer westlichen Wohltätigkeitsorganisation, die gleich einen Fotografen mitgeschickt hatte, damit er das Ereignis festhielt. Die Kinder saßen mit ausdruckslosen Mienen da und klammerten sich an die Geschenke, die auf ihren Knien lagen. Der Fotograf, ein Deutscher mittleren Alters, hatte versucht, sie dazu zu bringen, ihre Geschenke auszupacken. Die Kinder hatten seinem Zureden weinerlich widerstanden. Endlich hatte er einem Fünfjährigen sein Geschenk abgenommen – aus den Armen gerissen – und angefangen, das Papier herunterzufetzen. Die Verzweiflung des Kindes hatte einen neuen Pegel erreicht, um plötzlich zu verstummen, als der Mann ein kleines Holzhaus aus der Schachtel herausholte. Augenblicke später war der Raum vom Geräusch zerreißenden Papiers, wühlender Finger erfüllt. Zufrieden knipste der Fotograf minutenlang. In einem weißen Kittel und mit einem Stethoskop, beides selten getragen, stand

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