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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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ein. Es tat mir überhaupt nicht gut, ihn zu sehen.
    »Cole, Cole, Cole.« Er schüttelte dazu den Kopf. »Meine Frau …« Und er drohte mir mit dem Finger.
    Ich gestehe, dass es mir einen Schreck versetzte, aber dann sah ich, dass er grinste. Ich zwang mich, das Lächeln zu erwidern und ihn zu begrüßen. Ich konnte meine Stimme hören, gesprungen und hohl.
    »Ah, Cole, Cole«, sagte er. »Meine Frau ist sehr böse auf mich. Sie hat mich schon vor einer ganzen Weile gebeten, Ihnen das hier zu geben. Und ich hab’s völlig vergessen. Ich hab sie um Verzeihung bitten müssen.«
    Er legte eine Papiertasche auf den Tisch, gelb mit schwarzen Quadraten, von der Art, wie man sie bekommt, wenn man einen Film entwickeln lässt. Und darinnen – die Bilder von mir, aufgenommen in ihrem Haus am Tag meines ersten Besuchs.
    Also hatte sie es ihm doch erzählt. Julius hatte es die ganze Zeit gewusst.
    Er setzte sich auf die Kante meines Schreibtischs; mittlerweile redete er schon über etwas anderes. Ich zwang mich, den Eindruck zu erwecken, dass ich zuhörte. Ich bekam wie von fern mit, dass er mich gegen die Schulter boxte, sich die Tür hinter ihm schloss. Ich murmelte etwas. Ich ließ ihn gehen. Ich saß regungslos da, starrte auf die Schreibtischplatte. Ich spürte ein Aufflackern von etwas, das in meinen Eingeweiden brannte. Nicht Abneigung, es war unmöglich, einem Mann wie Julius Abneigung entgegenzubringen. Also keine Abneigung. Ein kleines Aufflackern von Hass.

12
    Ein Abend, Freitag, Adrian wartet auf Kai. Es ist noch früh, und die Bar ist nahezu leer. Sein Bier, eine einheimische Marke, ist prickelnd und blass. Adrian betrachtet die anderen Gäste: zwei Afrikaner, Freunde des Barkeepers, ein Grüppchen von Expats an der Bar. Zwei einheimische Mädchen leisten den Ausländern Gesellschaft.
    Eine Spur von Seeluft erreicht ihn durch die anderen dunkleren Gerüche hindurch. Das Bier ist sein zweites, auf leeren Magen. Als Adrian in die Runde schaut, bleiben seine Augen an einer der Frauen hängen. Sie trägt ein violettes Oberteil, lehnt sich an den Mann, der vor ihr steht, den Kopf auf dessen Schulter. Von ihrem Begleiter kann Adrian nicht viel mehr als einen breiten Rücken, ein gestreiftes Hemd, einen gebräunten Unterarm sehen. Die Frau ist nach jedem beliebigen Maßstab als hübsch zu bezeichnen, und sie ruht an dem Mann mit katzenhafter Trägheit. Adrian betrachtet sie, projiziert sich an die Stelle des Mannes, gegen dessen Brustkorb sie sich lehnt, stellt sich das Gefühl ihrer Brüste vor und fragt sich, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen. Er nimmt sich einen Augenblick Zeit, um darüber nachzudenken, wie sich das bewerkstelligen ließe. Würde er allein herkommen, darauf warten, dass sie den ersten Schritt unternahm? Sich an die Bar setzen, vielleicht?
    Jetzt wird ihm bewusst, dass sie ihre Blickrichtung geändert hat und ihn direkt anschaut. Sie hält seinem Blick ohne jede Befangenheit stand. Ein langes, dunkles, undurchsichtiges Starren. Verlegen wendet sich Adrian ab.
    Adrian hat den halben Vormittag in der psychiatrischen Anstalt verbracht und mit Wach- und Pflegepersonal gesprochen, mit den Leuten, die möglicherweise mehr Informationen über die Patientin haben würden. Anfangs von Salia begleitet, hatte er es schließlich geschafft, den Pfleger dazu zu bringen, ihn, Adrian, sich selbst zu überlassen.
    Vom Personal und aus den Anstaltsakten erfuhr Adrian, dass die Einweisungen der Frau einem Muster folgten. Grob gesprochen, wurde sie alle sechs, sieben Monate dort abgeliefert. Jedes Mal war sie, als man sie aufgegriffen hatte, ziellos umhergewandert. Nicht weiter ungewöhnlich in einem Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben oder verschleppt worden war; trotzdem war die Frau von einem oder mehreren Fremden, deren Namen manchmal, aber nicht immer in den Akten standen, zur Anstalt gebracht worden. Ihr psychiatrisches Krankenblatt war sauber geführt, aber nicht sehr gehaltvoll. Die Stationsunterlagen brachten ihn auch nicht viel weiter. Die Wärterinnen und Wärter verfügten nur über eine summarische Ausbildung. Ein paar weitere Details hatten sich immerhin ergeben. Einmal war sie vor der ausgebrannten Ruine eines Kaufhauses aufgefunden worden. Zwei Mal war sie von dem externen Internisten untersucht worden, der ihr einen guten Gesundheitszustand bescheinigt hatte. Keine Hinweise auf Drogenmissbrauch oder Epilepsie. Ihre Aufenthalte in der Anstalt dauerten ein paar

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