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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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fern betrachtet. Das war alles.
    Im Victoria Park sah ich sie einmal, von der watschelnden Gestalt eines Verrückten verfolgt, mit einem kleinen Stapel Bücher in Richtung Bibliothek gehen. Ich holte sie ein und scheuchte den Mann davon.
    »Ach, Elias! Sie haben mir einen Schrecken eingejagt.« Und als sie dann den Mann mit seinem verfilzten Haar, dem verfilzten Bart und den dicken eingerollten Fingernägeln sah, sagte sie: »Ach, der tut doch niemandem was.« Sie griff in ihre Handtasche und fand ein paar Cents. »Komm. Komm.«
    Der Mann kam vorsichtig näher, ohne mich aus dem Auge zu lassen, bis er nah genug war, um die Hand auszustrecken und die Münzen von Saffia entgegenzunehmen. Er roch fürchterlich nach Pisse.
    »Danke, Ma. Gott segne Sie«, und er verneigte sich und zog sich zurück, ein bisschen wie ein Kellner.
    »Trotzdem sollten Sie sich vorsehen«, sagte ich, sobald er verschwunden war.
    Wir gingen weiter den Pfad aus rissigem Zement entlang, vorbei an der Statue der britischen Königin. Sie senkte das Kinn, lächelte vor sich hin.
    »Schauen Sie sich das an. Haben Sie das schon mal gesehen?« Sie streckte die Hand nach oben aus, bog einen Zweig Bougainvillea herunter, dessen Ende von papierartigen Hochblättern strotzte. »Schauen Sie. Drei verschiedene Farben. Nein, vier. An ein und demselben Strauch. Auch auf dem Campus gibt es ein paar wie diese. Ist Ihnen das jemals aufgefallen? Da hat sich jemand richtig große Mühe gegeben, früher einmal.«
    Wir erreichten die Außentreppe der Bibliothek. Dort blieb sie stehen und wandte sich halb nach mir um, während sie sich mit einer Hand die Augen vor der Sonne beschirmte.
    Ich stöhnte und klatschte mir mit der Hand an die Stirn. »Oh, nein! Bitte entschuldigen Sie. Ich hoffe, er hat es nicht schon verkauft. Ein Buch von Sayer. Das Bibliotheksexemplar ist schon seit Wochen ausgeliehen. Wahrscheinlich verschollen. Sie würden staunen, was man bei den Antiquariatsständen hier unten nicht alles findet!«
    Sie lächelte. »Ich muss sie mir bei Gelegenheit ansehen.« Sie hob ihre andere Hand. »Nun, ich will Sie nicht aufhalten.«
    Auf dem oberen Treppenabsatz drehte sie sich um und ertappte mich dabei, wie ich ihr nachsah, senkte den Kopf und stieß rasch die Drehtür auf. Ich drehte mich um, eilte an den Bücherständen vorbei, ohne stehen zu bleiben, und ging nach Hause.
    Das Wichtigste in derlei Angelegenheiten ist Urteilsvermögen. Ich verzehrte mich nach ihr. Ich lebte in einem Zustand ständiger Frustration. Sobald eine Begegnung vorbei war, begann ich zu planen, wo und wann die nächste stattfinden könnte.
    Es stimmt, dass keine Frau je eine solche Ruhelosigkeit in mir erzeugt hatte. Ich war noch nie verliebt gewesen. Ein, zwei Mal hatte ich bestimmten Frauen gegenüber, gedankenlos, die entsprechenden Worte geflüstert. Jedes Mal unmittelbar vor dem Liebesakt selbst. Aber ich wusste jetzt, falls ich es vorher nicht gewusst hatte, dass die Zuneigung, die ich für jene Kreaturen empfunden hatte, wie das Angenehme eines Sommertages im Vergleich zum Grauen eines Gewitters war. Ich war verloren in der Finsternis, inmitten von Donner, blendenden Blitzen, dem Irrsinn des Windes. Ich war in den Sog eines Orkans geraten, hatte jegliche Orientierung verloren. Falls Saffia mein ständiges Auftauchen an verschiedenen Orten ungewöhnlich fand, ließ sie jedenfalls nie eine Bemerkung darüber fallen. Dieser einen Tatsache gestattete ich nun, meiner verzerrten Urteilskraft noch ein Quantum Leichtsinn zu verleihen.
    Freitag. Vier Tage nach unserer Begegnung im Victoria Park. Ich stand am Straßenrand und beobachtete die Leute, die auf dem Weg in die Moschee in Gruppen vorbeizogen. Es hatte gerade aufgehört zu regnen, der Himmel war blass und klar, nackt bis auf die Haut. Die Stimmen der Passanten waren deutlich zu vernehmen, umso klarer in der reinen Luft. Niemand schenkte mir Beachtung. Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür des rosa Hauses, und die alte Schachtel trat heraus und blieb dort, von der Dunkelheit des Flurs eingerahmt, kurz stehen. In grünes Tuch gewickelt, die Gebetskette in ihre Kopfbedeckung geflochten, zupfte sie die Falten ihres Gewands zurecht, schloss die Hand fester um ihre Tasche und marschierte los, die Straße entlang. Ich sah zu, wie ihre Gestalt in der Ferne immer kleiner wurde, dann überquerte ich die Straße und klopfte an die Tür.
    Saffia betrachtete mich mehrere Augenblicke lang schweigend.
    »Hallo, Elias.« Ein Unterton

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