Lied der Wale
Schmiergelder einen guten Schnitt gemacht hat.«
»Haben Sie ihn nicht angezeigt?«
In Davids Stimme lag eine Mischung aus Schwermut und Belustigung. »Als ich das herausfand, war ich schon lange hier auf dem Schiff. Mit Harriman gingen Stück für Stück meine Fonds in den Keller, ein Dominoeffekt. Dem Kollegen, der mich fertigmachenwollte, ist sein Vorhaben mehr als geglückt. Es dauerte nicht lange, da konnte ich meinen Hut nehmen.«
»Warum haben Sie das nicht bekanntgegeben?«
»Unser Business ist eine brisante Mischung aus Politik und Showbiz, jedes Dementi wird als doppeltes Eingeständnis gewertet. Und die Presse hatte mich ziemlich in der Zange. Aber das wissen Sie ja am besten.«
Leah war erstaunt, in seiner Bemerkung keine Bitterkeit mitschwingen zu hören. Dennoch wäre sie am liebsten im Boden versunken. Sie hatte einen Schuldigen für den Tod ihres Vaters gebraucht und sich David auserkoren. Den Mann, der ihr den Tipp gegeben hatte? Nein. Den Mann, der ihr nach einem vielversprechenden Abend einen Korb gegeben hatte und seiner Partnerin treu blieb. Den Mann, der genau das getan hatte, was sich jede Frau von ihrem eigenen Mann in so einer Situation gewünscht hätte.
»Tut mir leid«, sagte Leah, »davon hatte ich keine Ahnung.«
»Wissen Sie, wenn es jemandem gelang, einen Börsenhai wie mich so zu linken, dann konnte ich bei weitem nicht so gut sein, wie ich dachte.«
»Und Sie sinnen nicht auf Rache?«
»Warum? Ich möchte mein derzeitiges Leben mit nichts und niemandem tauschen. Es mag seltsam klingen, aber vielleicht sollte ich denen, die an meinem Untergang mitgewirkt haben, sogar dankbar sein.«
»Wie sind Sie zu den Walen gekommen? Ich meine, Sie sind doch nach dem Crash nicht nach L. A. geflogen, über Steves Füße gestolpert und haben einfach so beschlossen, ein Walschützer zu werden.«
David lachte. »Warum nicht?«
»Es gibt für alles im Leben eine Motivation. Und Sie betreiben das hier zu intensiv, als dass es Zufall sein könnte.«
David lächelte. »Abendkurse in Verhaltenspsychologie, Ms Cullin?«
»Zaghafter Versuch, vom Thema abzulenken, Mr McGregor?«
»Touché! Wenn ich Ihnen das erzähle, geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie nicht darüber schreiben werden?«
»Weshalb?«
»Nun, es ist eine sehr private Geschichte, die nicht mal Steve kennt. Und ich möchte sie nirgendwo gedruckt sehen, das ist alles.«
Leah wich seinem Blick nicht aus. Und warum will er dir dann die Geschichte erzählen? »Natürlich ... Ich behalte es für mich.«
David lehnte sich zurück und faltete die Hände hinter dem Kopf. »Ich war damals zwölf. Es war das letzte Mal, dass ich den Sommer bei meinem Großvater verbrachte. Er lebte in einem kleinen Fischerdorf an der Ostküste, ganz in der Nähe der irischen Hauptstadt, Skerries hieß das Örtchen. Wissen Sie, ich war ein Stadtkind, durch und durch, ich liebte Fernsehen, Comics, Autos, spielte gälischen Football, eine Mischung aus Fußball und Rugby, unsere Mannschaft war die beste in ganz Dublin – ich war ziemlich im Reinen mit der Welt damals. Aber die Sommer bei ihm, die waren was Besonderes.«
Er griff zur Rotweinflasche und schenkte Leah nach.
»Mein Großvater war ein feiner Mann, Fischer von Beruf. Als ich auf die Welt kam, hatte er die sechzig schon erreicht. Er verkaufte sein Schiff und lebte von dem Erlös und einer bescheidenen Rente. Doch immer, wenn ich bei ihm war, durfte ich einmal mit auf See fahren. Alle Menschen im Dorf kannten ihn, und es war für ihn nicht schwer, ein Boot zu finden, auf dem wir einen Tag lang rausfahren konnten. Ansonsten machten wir Spaziergänge, am liebsten zu dem kleinen Hafen. Schiffe haben mich immer fasziniert. Und ich half ihm im Haus oder beim Anstreichendes Zauns. Ich wusste nicht, dass er Krebs hatte – die gleiche tückische Krankheit, an der auch meine Großmutter zehn Jahre zuvor starb. Ich merkte nur, dass er nicht mehr so kräftig war wie früher und ich, der ich als Kind hier und da mitgeholfen hatte, nun wirklich mit anpacken musste.
Auf einem unserer Spaziergänge lag eines Tages etwas am Strand, das wir aus der Entfernung nicht identifizieren konnten. Ich dachte zuerst, es wäre ein Mensch, doch ich erkannte, dass es zu groß war. Ich rannte hin. Es waren zwei Delfine gestrandet – ein junges Tier und ein ausgewachsenes Weibchen. Wir waren hilflos, zu weit vom Dorf entfernt, um Hilfe zu holen, zu schwach, um die Delfine ins Meer zu tragen, also breiteten wir Handtücher auf
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