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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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ihren Leibern aus, hielten sie feucht wegen der Sonne und warteten auf die nächste Flut.«
    »Und – haben Sie die Delfine retten können?«
    »Nur einen. Die Flut kam, doch die Tiere waren zu weit an Land gespült worden, als hätte eine riesige Welle sie an den Strand geworfen... Für das Weibchen war es zu spät. Ähnlich unserem kleinen Freund von gestern pfiff und schnatterte sie noch mal, bewegte hilflos ihre Flossen – und starb. Es war das erste Tier, das ich sterben sah.«
    Leah sah den kleinen Wal vor sich, der in ihren Armen gestorben war.
    »Der jüngere Delfin, den ich Jack getauft hatte, blickte mich an, und irgendwas war da zwischen ihm und mir. Mein Großvater sagte, ich solle mit ihm reden. Also wischte ich die Tränen ab und fragte verzweifelt, was ich denn sagen solle. ›Du musst nicht laut sprechen‹, meinte er, stand auf und ließ mich allein mit meinen Gedanken.
    Ich zermarterte mir das Hirn, was ich dem Delfin sagen könnte. Mein Gott, ich wollte, dass er es schaffte, dass er seinen Weg zurück ins Meer fand, zu seiner Familie schwamm, noch vieleJahre leben würde, selbst Kinder bekam, dass er all das, was er noch vor sich hatte, auch erleben konnte. Aber was sollte ich ihm sagen? Ich saß im Sand wie ein Häufchen Elend, bangte um ihn, während unsere Blicke einander nicht losließen.«
    So wie unsere jetzt, dachte Leah.
    »Irgendwann kam dann unser Nachbar James mit seinem alten Abschleppwagen vorbei, der ein Ableger irgendeines Militärlasters zu sein schien, der Motor verursachte jedenfalls einen Heidenlärm. James rangierte den Wagen rückwärts neben den Delfin. Glücklicherweise hatte er eine Plane dabei, an deren Enden sich Ösen befanden, sodass man ihn damit anheben konnte.
    Wir rollten das arme Tier auf die Plane. Sein Pfeifen machte auch einem, der seiner Sprache nicht mächtig war, klar, dass er das alles nicht besonders witzig fand. Während ich den Männern half, brabbelte ich ständig vor mich hin. Ich entschuldigte mich bei Jack, sagte ihm, wir müssten das machen, das sei wie eine Spritze beim Doc, es sei nicht angenehm, aber nötig. Wenige Minuten später hing Jack am Ausleger des Abschleppwagens. James steuerte den Laster rückwärts in die See, und ich lief mit meinem Großvater ins Wasser. James setzte den Wagen so weit zurück, bis der Motor absoff. Die Wassertiefe betrug vielleicht einen knappen Meter, etwas zu flach für den Delfin, aber wir konnten ihn nicht weiter ins Meer bugsieren. Obwohl der Krach, den der Laster machte, alle Tiere in der Umgebung in nackte Panik hätte versetzen müssen, erkannten wir die Finnen unzähliger anderer Delfine, die nun ihrerseits gefährlich nah ans Ufer schwammen. Und Jack pfiff und stieß seine Knacklaute aus. Mein Großvater und ich ließen ihn langsam ins Meer gleiten, öffneten die Plane – und Jack war frei. Er stach jedoch nicht sofort in See, als ob er diesen Moment seiner Rettung mit uns teilen wollte. Er sprang auch nicht aus dem Wasser, denn es war nicht tief genug, um eine Landung zu riskieren.
    Ich sah Jack an, und irgendwas in mir ... na ja, ich war ziemlich aufgewühlt. Jack hielt inne, seine Augen suchten nach meinen. Als er mich im Blickfeld hatte, schwamm er langsam auf mich zu. Ich wich nicht zur Seite. Er sah mich nur an. Das heißt, damals dachte ich, er sähe mich nur an. Dann stupste er mich zweimal sanft in den Bauch, drehte sich um, und ich konnte nicht anders, als ihm hinterherzuspringen und nach seiner Rückenfinne zu greifen. Und Jack zog mich ins Meer hinaus. Ich hab es mir später erzählen lassen, gehört hab ich es in dem Augenblick nicht: Mein Großvater rief mir hinterher, geriet in Panik, nicht wegen des Delfins, er hatte Angst, ich würde vielleicht loslassen und da draußen in eine Strömung geraten. Doch ich wusste, dass für mich keine Gefahr bestand. Jack zog mich bis zu seiner Familie, einer Delfinschule, die ihn erwartete. Er schlängelte sich zwischen seinen Artgenossen hindurch, ohne dass er oder ich auch nur einen berührten. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, wenige Minuten wahrscheinlich, dann drehte Jack um und schwamm zurück in Richtung Strand. Bis zu meinem Großvater, der am Ufer auf uns wartete. Ich ließ Jack los, und er stupste mich noch einmal. Dann verschwand er. Sekunden später war seine Finne nur noch eine unter all den anderen. Und – das werden Sie sicher nicht glauben – sie blieben alle in der Nähe des Strandes, bis wir das Weibchen begraben hatten, erst dann

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