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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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die Fahrt nicht wieder auf. Einige Männer standen an der Reling und verfolgten das Geschehen, doch Joe war nicht entgangen, dass sie auch das Krähennest, den Ausguck, von dem aus sie Wale aufspürten, besetzt hatten.
    »Govind, wo sind die Buckelwale?«, fragte Joe über die interne Sprechanlage.
    Die Antwort kam prompt: »Unter uns.« Ein einziger Scheißtag war das.
    »Wie geht’s David?«, erkundigte er sich bei Masao.
    »Er atmet. Flach. Sieht furchtbar aus, hat Blut gespuckt. Joe, ich flieg mit.«
    Endlich sah Joe den Helikopter, der zielstrebig auf die Schiffe zusteuerte und sich wenig später direkt über Masaos Schlauchboot in der Luft hielt. Joe stellte die Funkverbindung zwischen den beiden her. Dabei erfuhr er, dass sich im Helikopter auch der Schiffsarzt der Ottawa befand, der David bis Anchorage zumindest notdürftig versorgen konnte. Masao durfte also nicht mitfliegen. Vom Helikopter aus wurde eine Trage herabgelassen, auf der Sam und Masao David anschnallten, dann hob er sich langsam in die Lüfte. Joe tat etwas, was er sonst nie tat: Er betete.
    »Verdammt, was machen die da?!«, hörte er Masao rufen. Joe sah instinktiv zum Hubschrauber, doch der schien ruhig in Richtung Norden zu fliegen. Ein Blick auf den Walfänger machte ihm klar, was Masao meinte. Auf der »Hikari« stand bereits ein Mann an der Kanone. Und lud sie. Kaum war die Bahn wieder frei, konnte die Metzelei beginnen.
    Erneut sendete Joe Funksprüche an die Japaner, drohte, fluchte, redete auf sie ein, doch er erhielt keine Antwort.
    Masao und Sam kreuzten mit ihren Booten vor dem Walfänger, doch der verringerte nicht mal seine Fahrt, die er soeben wieder aufgenommen hatte. Dann sah Joe den Blas des Wals, den sie ins Visier genommen hatten. Die Fontäne war klein. Der Wal auch. Und wenn man das Kalb hatte, bekam man die Mutter gratis dazu.
    Joe erinnerte sich an Davids Worte, als seien sie sein letzter Wille. Er wusste nicht, ob dieses Walkalb Noah war oder nicht, aber er wusste, dass die »Hikari« es nicht kriegen würde. Dieses nicht und auch kein anderes mehr. Diesmal nicht. David hättesich ins Wasser retten können, aber er war geblieben, um zu verhindern, dass auch nur ein einziger Wal starb. Jetzt würde Joe das Gleiche tun. Er drückte den Hebel durch und trieb die »SeaSpirit« bis an die Grenze ihrer Leistung auf die »Hikari« zu.
    »Sam, van Gogh, weg da«, rief er ins Mikro. »Ich komme!« Das Schiff vibrierte. Joe verkündete über die Lautsprecher der internen Sprechanlage, dass er vorhabe, sich der »Hikari« in den Weg zu stellen, Govind und Marek sollten sich hinlegen und festhalten. Als Govind mit der Kamera aus dem Computerraum stürzte, hörte er Joe die »Hikari« anfunken, dass sie die Maschinen stoppen sollten, doch es folgte keine Antwort. Er richtete die Kamera auf den Walfänger und erschrak. »Joe! Da steht keiner mehr an der Kanone, die rammen uns!«
    Es war das Letzte, was Joe hörte, bevor ihm die Splitter des Seitenfensters um die Ohren flogen. Er knallte auf den Boden, stieß sich schmerzhaft die Schulter. Als er sich wieder aufrappelte, blickte er in die Mündung der Kanone, die vor ihm auf der Brücke lag. Die Wucht des Aufpralls hatte sie aus ihrer Verankerung gerissen.
    »Diesmal nicht, ihr Sauhaufen«, schrie er dem sich entfernenden Walfänger hinterher. » Diesmal nicht!«
    Und jubelte. Er jubelte für David. Seinen Freund, seinen Bruder. Der über das unbeabsichtigte Abschiedsgeschenk der Japaner jetzt auch gejubelt hätte.
    »Schau’s dir an, David, du hast es geschafft!« Joe spuckte auf die Kanone und eilte davon, um nach seinen Kameraden zu sehen.
    »Marek! Govind! Ist jemand verletzt?!«
    Govind griff nach Mareks Hand und hob sich mühsam vom Boden hoch. Besorgt tastete er sich ab, alles in Ordnung. Die nächste Inspektion galt der Kamera, und ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht. »It’s a Sony ...«
    »Kommt mit, wir checken den Kahn«, rief Joe den beiden zu. Kurz darauf bestätigte sich, was er insgeheim schon befürchtet hatte. »Wir sinken.«
    Der Bug des Walfängers hatte die »SeaSpirit« genau am mittleren Schott getroffen. Es hatte sich verkantet und schloss nicht mehr richtig. Eine vollgelaufene Kammer konnte sie verkraften. Zwei bedeuteten unausweichlich den Untergang.
    Joe sendete ein SOS, das von der Ottawa bestätigt wurde, und Govind begann sofort, alles Wichtige auf seine externe Festplatte zu speichern. Doch schon bald wurde ihm klar, dass die Zeit nicht reichen

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