Lied der Wale
hatten sie den Behörden einen Teil des Materials bereits zukommen lassen und hofften, da nun die »Hikari« gezwungen war, einen Hafen anzulaufen, dass ihre Fracht beschlagnahmt würde. Natürlich hatten sie das aufgezeichnete Material auch an die Presse weitergeleitet, und hier und da würde bestimmt ein Artikel darüber auftauchen.
David wollte Masaos Optimismus nicht bremsen, obwohl er überzeugt war, dass das Abschlachten von Walen mittlerweile kaum noch für Schlagzeilen taugte. Interessierte es wirklich noch irgendwen, wie es den Walen erging oder ob es den Regenwald eigentlich noch gab oder wie sich das Ozonloch veränderte? Gut, mit etwas Glück würde die Ladung der »Hikari« beschlagnahmt werden, bevor das Schiff wieder den Hafen verließ. Doch wer konnte schon garantieren, dass sie nicht weiterjagten, sobald sie sich erneut auf offener See befanden?
Masao sammelte die leeren Whiskeyflaschen ein. »Du kriegst jetzt einen starken Kaffee. Komm endlich mit.«
Als David das Deck betrat, fühlte er sich, als ob das viele Lichtseinen Kopf in kleine Teile zerlegte und mit Tausenden von Spießen darin herumstocherte. Zu allem Übel stürzte sich auch noch Steve auf ihn, kaum dass er ihn wahrgenommen hatte.
»Kannst du mir sagen, was das wieder für ’ne Aktion war?«
David versuchte, seine Stimme so ruhig klingen zu lassen, wie es eben ging: »Du hast recht, wir hätten sie gleich rammen sollen.«
Steve konnte nur den Kopf schütteln über so viel Hirnrissigkeit. Jeder hier glaubte, das Gesetz in seine Hände nehmen zu können. »Oh ja, nur zu, noch ein Prozess am Hals! Die wollen das Schiff sowieso konfiszieren!«
»So läuft das nicht, Steve!«, unterbrach ihn David. »Dieser eine Wal da draußen, das war ein Wal zu viel. Geht das in deinen verdammten Schädel?«
Steve sah ein, dass es vorerst besser war zu schweigen. David hatte Ketan nicht mal bei seinem Namen genannt. Steve war klug genug, um zu begreifen, wie sehr es David getroffen hatte, wenn er versuchte, seine Gefühle so unter Kontrolle zu halten.
»Das war ... das war großartiges Leben, was da vernichtet wurde, Steve. Es hätte auch dich erwischen können.«
Steve war sich in diesem Moment nicht ganz sicher, ob diese Variante David nicht lieber gewesen wäre.
»Ich trag hier die Verantwortung«, fuhr David fort, »also entscheide ich auch, was unternommen wird. Und wenn du weiter an Bord bleiben willst, hältst du dich daran. Ist das klar?«
Steve schluckte seinen Ärger runter, es hatte keinen Sinn, in der Wunde zu stochern. Der Wal hätte nicht sterben dürfen, richtig. Andererseits, es war für eine gute Sache. Wie viele waren für eine gute Sache gestorben? Und wenn sie nicht gestorben wären, hätte sich dann die gute Sache überhaupt durchgesetzt? Große Resultate verlangten große Opfer. Aber das konnte er David nicht ins Gesicht sagen. Jetzt nicht und auch ein andermal nicht.Das war Politik, und damit hatte David nichts am Hut. Aber er, Steve, würde den Tod von Ketan zu nutzen wissen. Eines war sicher, dieser Wal war nicht umsonst gestorben. Und so gesehen – auch wenn es pharisäerhaft klang –, war es sogar von Vorteil, dass er gestorben war, vor laufender Kamera, denn jetzt hatte Steve den eindringlichsten Beweis, warum es sich lohnte, die Stiftung am Leben zu erhalten. Solche Bilder überzeugten mehr als tausend Worte.
Steve wollte gehen, doch David hielt ihn am Arm fest und musterte ihn lange. »Passive Größe«, sagte er schließlich. »War es das, was du wolltest?«
L eisetreten scheint nicht gerade seine Stärke zu sein.«
Leah ging mit Madeleine und Geoffrey alle gesammelten Informationen über David durch.
»Trotzdem, warum rammt er ein Boot, das Thunfisch fängt?«, wollte Leah wissen. »Was hat das mit Walen zu tun?«
»Du weißt doch, wie diese Leute sind! Bald dürfen wir nicht mal mehr Gemüse essen, weil jemand für Radicchio auf die Barrikaden geht«, ereiferte sich Geoffrey.
Bevor Leah etwas erwidern konnte, platzte Nick breit grinsend herein und steuerte direkt auf Leah zu. »Sag ›Danke, Nick‹!«
»Danke, Nick. Und wofür, bitteschön, bedanke ich mich gerade?«
Nick sprach die Worte genüsslich aus: »Ich kenn einen bei der ›Times‹«, und mit einem schrägen Blick zu Geoffrey, »übrigens, die bezahlen ihre Leute um einiges besser als der Verein hier.«
»Geh doch hin, wer hindert dich?«, blaffte Geoffrey zurück.
Nick ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: »Und ich soll euch im Stich
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