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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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Dank hatte er Klein-Godzilla nicht geohrfeigt – verdient hätte der es allemal, doch Geoffrey wusste, dass das Klatschen der Backpfeife auch den Schlusspunkt seiner Beziehung zu Leah markiert hätte. Und er wusste, dass Michael das ebenfalls wusste.
    Dennoch war ihm klar, dass er Michael gegenüber ein deutliches Zeichen setzen musste. Sechsunddreißig endlose Stunden, bis Leahs Mutter den Frontdienst übernehmen würde; so lange hatte er Zeit, Michael seine Rolle als pater familias schmackhaft zu machen. Für Leah war das sicher ein wichtiger Test, auf keinen Fall durfte er dabei scheitern. Und hier stand er, magna cum laude in Yale, liberaler Demokrat und Schöngeist, wie ein Idiot unter der Brause und wusste nicht weiter. Er brauchte einen Plan. Es war immer gut, einen Plan zu haben, ohne Plan ging gar nichts. Um diese höchst diffizile Situation zu meistern, musste man sich eine Strategie zulegen ...
    Appeasement! Genau, seine nicht selten zitierte Doktorarbeit behandelte die Politik der Beschwichtigung, Chamberlain und so weiter, die hatte zwar bei Hitler erbärmlich versagt, aber dawaren doch Ansätze, die er vielleicht jetzt ... Quatsch, nein, Konfliktmanagement! Vor Jahren hatte er auf Anraten der Konzernleitung an einem Krisenmanagement-Seminar in Vermont teilgenommen. Wie war das noch mal? Kontroversen und Differenzen im Team sind gang und gäbe; erkannte man rechtzeitig die Eskalationsstufen, dann konnte man den Konfliktverlauf beeinflussen, so in der Art. Während sie enthusiastisch Bäume umarmten und ähnlichen Blödsinn machten, wurde den Seminarteilnehmern eingetrichtert, Konflikte als Herausforderung anzunehmen, sich ihnen voller Optimismus zu öffnen, jedoch, um eine resignative Grundstimmung zu vermeiden, das eigene Anliegen nicht ohne weiteres den Anliegen des vermeintlichen Widersachers unterzuordnen. Das war angeblich sehr wichtig, denn es führte zu einem gesunden Selbstvertrauen, was automatisch bewirkte, dass durch die von Glück und Seligkeit aufquellende Aura jetzt vom »Innersten Ich« feinstoffliche Kaskaden bejahender, positiv geladener Signale zum »Innersten des Gegenübers« ausströmten.
    Vielleicht war das alles nur Kokolores, grübelte Geoffrey, während er sanft das malträtierte Schienbein frottierte, doch um Michaels präpubertären Widerstand zu brechen, sollte »Der Quantensprung in subtiler Konfliktmanipulation« allemal genügen. Er war jetzt der Mann mit dem Plan, auf keinen Fall durfte er von Michael wieder in die Rolle des Aggressors getrieben werden.
    Als er in die Arena zurückkehrte, hockte das kleine Untier, wie nicht anders zu erwarten, mit ausgefahrenen Krallen auf dem Sofa, umringt von zerbröselten Chips. Der Fernseher dröhnte erneut. Kylie Minogue lamentierte lautstark zu wummernden Bässen, wieso ihr dieser Mann nicht aus dem Kopf ging.
    »O. k., ich mach dir einen Vorschlag«, bemühte sich Geoffrey, in möglichst friedlicher Stimmlage die Australierin zu übertönen,»wir reden jetzt miteinander wie zwei Erwachsene. Ich sage dir, was ich auf dem Herzen habe, dann sagst du mir, was du auf dem Herzen hast.«
    »Wieso du zuerst, warum darf ich nicht anfangen?«, protestierte sein vermeintlicher Widersacher, während er sich eine neue Ladung Chips in den Rachen schob.
    »Fang an, ich höre – das heißt, wenn du so nett wärst, den Fernseher etwas runterzudrehen, ich bekomm davon ziemliche Kopfschmerzen«, bemühte sich Geoffrey, seinem Gegenüber voller Optimismus sein »Innerstes Ich« zu offenbaren.
    »Ich räum den Fraß nicht ab, und das ist unser Fernseher, nicht deiner!«, unterbrach Michael, ohne die geringsten Anstalten zu machen, die Fernbedienung zu betätigen.
    Ruhig Blut, bloß keine resignative Grundstimmung aufkeimen lassen, befahl Geoffrey seiner Aura, die schon Gewehr bei Fuß stand, den kleinen Schmock von der Erdoberfläche zu tilgen. Positive Signale, lass es nicht eskalieren, jeder Konflikt ist eine Herausforderung!
    »Michael, wollen wir ein Spiel spielen?«
    »Was für ein Spiel?«
    Jawohl, Vertrauen aufbauen. Jetzt erinnerte sich Geoffrey, das kam vor dem Kapitel »Die eigenen Anliegen offenbaren«. »Den Weg bereiten«, hieß es, schaffe während der Kontroverse sofort eine Verbindung, eine Brücke zwischen den verfeindeten ... na bitte, wer sagt’s denn, Michael drehte den Kasten leiser und schaute ihn sogar an.
    »Ein tolles Spiel, hast du auf deiner Uhr einen Sekundenzähler?« Michael hatte. »Na gut. Ich werde jetzt deine

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