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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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aber wenn er schon schläft, dann lass ihn.«
    Ganz deiner Meinung, dachte Geoffrey.
    »Und wie geht’s dir?«
    Er hatte schon angenommen, sie würde diese Frage nie mehr stellen. »Hab meine Beine epiliert und wollte gerade die Fußnägel lackieren, soll ich Rot oder lieber Rosa nehmen? Nein, Rot ist zu vulgär, ich nehm doch Rosa, passt perfekt zu deinem Tanga-Slip, den ich gerade anhabe ...« Er konnte sich ihr Schmunzeln vorstellen. Er mochte diese regelrechte Invasion von Lachfältchen, die sich um ihre Augen und Mundwinkel abzeichneten, wenn sie lächelte. Und in diesem Moment spürte er mit einem fast körperlich wahrnehmbaren Schmerz, dass er sie vermisste. »Mir geht’s richtig blendend, so gut ist’s mir noch nie gegangen.«
    »Mhmm, ich hör’s an deiner Stimme. Also. Was hat er angestellt?«
    » Michael ? Unser lieber, süßer, kleiner Spatz?«, empörte sichGeoffrey, der noch genau zweiunddreißig und ein viertel Stunden hatte, um des Widerspenstigen Zähmung zu vollbringen. »Leah, er ist das Salz der Erde.«
    »Kein Wort glaub ich dir, aber wir wollen es dabei belassen.«
    Wir wollen, und wie wir es wollen, nichts lieber als das! Außerdem musste er von den zweiunddreißig Stunden Michaels Schul- und Schlafzeit abziehen, das würde mächtig knapp.
    »Drück ihn ganz fest von mir. Und dich küsse ich ... Ciao.«
    »Ich dich auch. He, vermisst du mich – Leah?«
    Sie hatte schon aufgelegt.
    »... wollte dir nur noch sagen, dass ich dich liebe«, erklärte er daraufhin dem Telefonhörer.
    Einen Moment war er versucht, sie zurückzurufen, doch er unterdrückte den Impuls. Wäre ihm zu blöd vorgekommen, nur zu sagen, wie sehr er sie liebte, und dann das Gespräch erneut zu beenden. Dennoch war er nicht in der Lage, den Hörer sofort wieder an seinen angestammten Platz zu legen. Irgendwie schien er ihm das Gefühl zu vermitteln, noch immer bei ihr zu sein. »Ich liebe dich, Leah Cullin.« Er lauschte noch eine Weile, während er sich fragte, ob diese Worte jetzt über einen einsamen Satelliten liefen und irgendwo da oben im Weltraum verhallten oder ob sie dazu verurteilt waren, hier im Apparat gefangen zu bleiben. Geoffrey musste über sich selbst lächeln, als er schließlich auflegte – so langsam entwickelte er sich noch zu einem richtigen Romantiker. Daran war Leah schuld. Sie hatte sein Leben verändert, ohne Zweifel.
    S ie hatte ihr Lieblingsplätzchen bereits auf dem ersten Rundgang mit Sam entdeckt: die Bank auf dem Vorschiff, längs zur Fahrtrichtung. Leah legte sich gegen die Seitenlehne zurück, streckte die Beine auf der Bank aus und blickte über den Bug desSchiffes auf das in der Sonne fluoreszierende Meer, das vor ihr auf und nieder wippte. Wie unbezwingbar schön sie war, diese unergründliche und ständig vom Wind aufgepeitschte Weite der See, die irgendwo in der Ferne in die Mischfarben des Himmels überzugehen schien. Leah atmete tief durch, ein Bedürfnis, das sie in der Stadt nie zu haben schien. Hier war sie ständig dabei, bewusst zu atmen, presste so viel Sauerstoff in ihre mit Großstadtluft durchtränkten Alveolen, dass es schon wehtat. Es war, als ob das Meer sie daran erinnern wollte: Atme. Atme und lebe. So intensiv wie nur möglich.
    Auf Leahs Schoß lag das Satellitenhandy. Es war deutlich unförmiger als ihr kleines Privathandy, verfügte dafür aber über einen entscheidenden Vorteil: Durch seine ausgetüftelte Elektronik und die größere Antenne mit der kleinen Kugel an ihrer Spitze war es in der Lage, von jedem Punkt der Erde aus zu senden und zu empfangen. Während gewöhnliche Handys maximal vierzig Kilometer von einer Antennenstation entfernt sein durften, kommunizierte dieses hier via Satellit. Das Ding war sündhaft teuer, aber immer noch Kategorie Portokasse, verglichen mit den Gesprächsgebühren.
    »Geoffrey, Leah ist vom ›National Geographic‹!«, hatte Madeleine gewettert. »Die werden für ihre Recherchen super ausgestattet.«
    Das Argument hatte Geoffrey überzeugt, und einen Tag später drückte Nick ihr das Edelteil in die Hand – fünfzig Prozent unter Preis eingekauft, weiß der Himmel, wie er das immer anstellte.
    Das Gespräch mit Geoffrey hatte nicht den gewünschten Effekt gehabt. Sie hatte gehofft, beim Klang seiner Stimme ein heimatliches Gefühl zu verspüren, ein bisschen Wärme, nach der sie sich hier auf dem Schiff, sozusagen mitten im Feindesland, besonders gesehnt hatte. Aber Geoffrey war ihr wortkarger vorgekommen, als er es mit all

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