Lied der Wale
den Rundgang machen. Kommst du mit?«, fragte Joe.
Miles hatte gerade aufgehört zu spielen.
»Danke, ich glaub, ich bin zu müde.« Das war Mist, meldete sich ein leises Stimmchen, gerade hast du McGregor gesagt, du willst Joe begleiten.
»... muss auch dringend meine Notizen ins Reine schreiben«, fügte sie so laut hinzu, dass McGregor es nicht überhören konnte.
Joe begann seinen Rundgang, während sie noch unschlüssigdastand, ihrem geschwätzigen inneren Stimmenchor lauschend: Ich muss auch gehen, was denkt er, warum ich noch bleibe, soll ich nicht versuchen, doch etwas aus ihm rauszulocken, sind meine Haare in Ordnung, sehe ich in der Jacke unförmig aus, aber wenn ich sie ausziehe und er will, dass ich verschwinde, ist es nur oberpeinlich, warum sagt er nicht was?
»Eine Frage, Ms Cullin«, erbarmte sich McGregor. »Sind wir uns vielleicht schon mal begegnet?«
Oh Mann, shit! Weiß er’s oder fischt er nur im Trüben, war das ein Test oder nur eine Floskel, was mach ich jetzt, sag ich Nein und er hat mich erkannt, bin ich sofort erledigt, sag ich Ja, wird er wissen wollen, wann, wo, weshalb, verdammter Mist, warum bin ich nicht mit Joe gegangen, denk nach, Leah, denk nach, sonst denkt er, du hast nur Grütze im Hirn, das war keine Fangfrage, oder war sie es doch, du musst langsam was sagen, mach den Mund auf, Augen zu und durch, SAG WAS!
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, hörte sie sich sagen und hätte sich sofort ohrfeigen können, was war das jetzt für ein Blödsinn, hatte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank?
»Versteh ich nicht, was meinen Sie?«
Ich auch nicht, o. k., könnten wir’s dabei belassen?, flehte Leah innerlich. Was musste er noch nachhaken? Gib mir einen Hinweis, McGregor, hast du mich erkannt, ja oder nein? »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil ich mir nicht sicher bin, ob Sie es waren. Die Finkelstein-Bar-Mizwa?« Was? , hörte sie eine verwirrte innere Stimme krächzen, die sie nur noch mehr durcheinanderbrachte. »Union Club, letzten Sommer, die Finkelsteins sind gute Freunde. Mögen Sie die Finkelsteins? Sicher mögen Sie sie.« Lieber Gott, lass die Decke auf mich fallen, mach mich platt, betete Leah und betete auch, dass der Schweiß, der ihr unter der Jacke ausbrach, in den Daunen stecken bleiben würde.
»Sind bestimmt reizende Leute, aber nein, da war es nicht.«
»Ach so? Na dann.«
»Sie scheinen plötzlich so nervös, hab ich Sie in Verlegenheit gebracht?«
»Wie kommen Sie drauf, dass ich nervös bin, aus welchem Grund sollte ich nervös sein?« Er weiß es, der Schuft genießt es einfach, mich langsam zu grillen. Denk nach, Leah, wie kommst du aus dem Schlamassel?
»Eben, deswegen hab ich auch gefragt. Wahrscheinlich hab ich Sie bei einem unserer Vorträge gesehen, so wird es sein.«
Er weiß es nicht, Massel gehabt, Halleluja, das mit der Decke, lieber Gott, nehm ich zurück, machen wir’s rückgängig, sorry, mea culpa.
»Na dann«, hörte sie sich erneut sagen. Wieder so ein Bonmot.
»›Na dann‹ im Sinne von ›Ja, Sie waren auf dem Vortrag‹ oder im Sinne von ›Hören Sie auf, mich in die Bredouille zu bringen‹?«
»In ... in welche Bredouille?« Hoppla, wendete sich das Blatt jetzt wieder? Was sollte dieses Katz-und-Maus-Spiel, sag doch geradeheraus, dass ich nur hier bin, um dich auszuspioni...
»Sie wollten Joe auf die Dogwatch begleiten, dann doch lieber dringend Ihre Notizen sortieren. Stattdessen sind Sie hier geblieben, was mich vermuten lässt, dass Sie offensichtlich etwas auf dem Herzen haben ... Haben Sie etwas auf dem Herzen, Ms Cullin? Wenn ja, spucken Sie’s aus, damit wir’s hinter uns bringen, ich hab mir mit dem Smalltalk genug Mühe gegeben, da liegt ein Haufen Arbeit, die erledigt werden muss.«
Arschloch, brüllten alle inneren Stimmen gleichzeitig, noch einmal lass ich mich nicht von dir abservieren, wenn, dann mach ich es!
» Sie haben mit der Woher-kennen-wir-uns-Leier angefangen, ich war schon auf dem Weg hinaus«, protestierte Leah, aberMcGregor wandte ihr den Rücken zu und griff nach dem Logbuch. Die Fingernägel tief in die Handballen bohrend, um bloß nicht die Beherrschung zu verlieren, stürmte sie von der Brücke, ohne sich zu verabschieden.
Zurück in ihrer Kabine, drückte sie sich ein Kissen vors Gesicht, um den Schall ihres wütenden Schreis zu dämpfen, besser gesagt: ihrer Schreie, denn wenn Leah einmal loslegte, war sie kaum zu stoppen. Nie war sie von einem Mann, von irgendjemand, so
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