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Lied des Schicksals

Lied des Schicksals

Titel: Lied des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merice Briffa
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Boden und packte gerade Wäsche in einen Schrankkoffer. Als sie die Frage ihrer Tochter hörte, richtete sie sich auf und setzte sich auf einen Stuhl. »Als ich das letzte Mal mein Zuhause verlassen habe, wollte ich unbedingt fort. Wir waren so arm, und ich musste mich Tag und Nacht um meine Ma kümmern. Ich hab Meggan angefleht, mich mit nach Australien zu nehmen. Als sie ja gesagt hat, wär ich am liebsten nur mit dem, was ich am Leibe hatte, aus dieser Bruchbude gerannt. Und das waren bloß armselige Lumpen.«
    Â»Hattest du wirklich eine so schlimme Kindheit, Ma?« Über die Kindheit ihrer Mutter wusste sie nur, dass ihre Familie arme Kupferbergleute in Cornwall gewesen waren.
    Â»Ach, es ging uns nicht schlechter als allen andern, nachdem Wheal stillgelegt worden war.«
    Â»Wheal?«, fragte Louisa.
    Â»Wheal Pengelly, die Erzgrube, in der mein Pa und meine Brüder und Schwestern alle gearbeitet haben. Das heißt, bis Pa und einer der Jungen in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, ums Leben gekommen sind.«
    Â»Warum redest du nie über deine Familie, Ma?« Ihr Vater hatte ihnen viele Geschichten über seine Jugend in Amerika erzählt.
    Â»Als ich nach Australien gekommen bin, habe ich ein neues Leben angefangen. Ich weiß, dass ich keinen von meiner Familie je wiedersehen werde.« Gleichgültig zog sie die Schultern hoch. »Ich weiß nicht mal, ob überhaupt noch einer lebt. Aber das spielt jetzt für mich keine Rolle mehr.«
    Â»Ma! Wie kann dir das nur egal sein? Du hast ein großes Herz, Ma. Und uns hast du doch alle so lieb.«
    Â»Ich bin mit einem guten Ehemann und gesunden Kindern gesegnet. Das Glück hatte meine arme Ma nicht.«
    Â»Wie viele Geschwister hattest du denn?«
    Â»Vier Schwestern und vier Brüder. Das sind nur die, die bis ins Erwachsenenalter gelebt haben. Ma hat vier weitere Kinder begraben und einmal Zwillinge tot geboren. Joan und Mary, die beiden Ältesten, waren bereits erwachsen und verheiratet, bevor ich geboren wurde. Die Einzigen, die mir je nahegestanden haben, waren die Zwillinge Annie und Betty. Wir waren die drei Jüngsten. Alle anderen waren viel älter. Zwei von den Jungen, Jack und Tom, sind auch nach Australien gegangen. Jack habe ich nicht sehr gut gekannt. Tom war … nein, wir reden nicht über Tom.«
    Â»Warum nicht?«, fragte Louisa, die verblüfft einen Anflug von Schmerz im Gesicht ihrer Mutter bemerkte.
    Agnes schüttelte den Kopf, als wolle sie ihn von unangenehmen Gedanken befreien. »Das war genug über die Vergangenheit, mein Kind. Wo dein Pa hingeht, gehen auch wir hin. Außerdem gehen wir ja nicht so weit weg, dass wir nicht mal auf Besuch nach Langsdale fahren können.« Agnes stand auf und streckte ihren Rücken. »Mir ist nach einer Tasse Tee mit Mrs Clancy. Kannst du bitte weiter einpacken, Schatz?«
    Â»Ja, Ma.« Louisa hätte allerdings gern noch weitere Fragen gestellt, besonders über den ihr unbekannten Onkel Tom. Aus Gesprächen, die sie zufällig mitbekommen hatte, wusste sie, dass er mal in Ballarat gewesen war.
    Doch bei den wenigen Gelegenheiten, wo jemand in ihrer Gegenwart seinen Namen erwähnt hatte, wurde anscheinend immer abrupt das Gesprächsthema gewechselt, sobald die Leute merkten, dass sie zuhörte. Vielleicht hatte dieser Onkel Tom etwas getan, was seiner Familie Schande gebracht hatte. Sie bezweifelte, dass ihre Neugier je gestillt würde. Nun ja, wie dem auch sei – sie zuckte mit den Schultern –, er war wahrscheinlich eh tot, und sie würde ihn sowieso nie kennenlernen.
    Mit rasendem Herzklopfen lief Agnes zu Mrs Clancy in die Küche. Louisas Neugier, als sie sich geweigert hatte, über Tom zu sprechen, war unverkennbar gewesen. Bei dem ganzen Gerede über die Familie war ihr der Name dieses Schurken herausgerutscht, obwohl sie sich vor langer Zeit geschworen hatte zu vergessen, dass er überhaupt je existiert hatte.
    Mrs Clancy, die Agnes vom Tag ihrer Ankunft auf Langsdale an wie eine Tochter unter ihre Fittiche genommen hatte, fing bereits an, Tee zu kochen, bevor Agnes überhaupt am Küchentisch saß.
    Â»Diese ganze Packerei hat dich offenbar ziemlich erschöpft.«
    Â»Ich hab gar nicht gewusst, dass wir so viele Sachen haben. Louisa …«, kurzes Zögern, »Louisa ist mir eine große Hilfe.«
    Â»Ach so, du bist nicht nur müde, meine Liebe.

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