Lied für eine geliebte Frau
Augenblick des Torschusses sehen.
Wie dem auch sei, da niemand ihm Aufklärung, das heiÃt die erhofften Gewissheiten, verschaffen konnte, stellte er seine Nachfragen bald ein.
Eben zu dieser Zeit begann er, häufiger nach Ãgyptenzu reisen. Ich begriff, und andere Beobachter ebenso, dass er mangels einer halbwegs zufriedenstellenden Antwort in diese groÃe Kultur des Todes hineinhorchen wollte.
Aus diesen Gründen lieà der groÃe Bruder als Erster den Mut sinken: Wenn schon der französische Präsident ungeachtet seiner Intelligenz und all der Mittel, die ihm zur Verfügung standen, das Rätsel nicht hatte lösen können, würde es niemand lösen.
Doch der jüngere Bruder blieb hartnäckig: In der Wissenschaft, sagte er immer wieder, in der Wissenschaft muss die Antwort liegen. Und er geisterte weiter durchs Internet und durch Reanimationszentren, um alle verfügbaren Informationen zusammenzutragen, die er über Komapatienten und wunderbarerweise wieder ins Leben zurückgekehrte Menschen finden konnte.
Um der Wahrheit willen muss ich sagen, dass er jede wissenschaftliche Strenge verloren hatte. Er begeisterte sich für die Erzählungen von Eingeborenen, für die Beschreibungen des «groÃen weiÃen Lichts am Ende des Tunnels», der «unaussprechlichen Musik über einer ruhigen blauen Wasserfläche» â¦
Verwirrt und betroffen beobachtete der Ãltere diese Havarie des Verstands. SchlieÃlich hatte sein Bruder sich auf dieses Glatteis begeben, um ihm zu helfen. Es fehlte nicht viel, und der anerkannte Psychoanalytiker wäre zum New-Age-Guru geworden. Beim nächsten gemeinsamen Abendessen würde er die Nachforschung für beendet erklären.
«Danke für alles, jetzt ist Schluss.»
«Aber â¦Â»
«Nein, es bleibt dabei!»
Der Jüngere maulte nicht. Wie in alter Zeit, das heiÃt in ihrer Kindheit, hatte die Autorität des Ãlteren gesiegt.
Zur Feier des Tages bestellte der Ãltere einen Romanée-Conti.
«Die Herren haben gewiss etwas GroÃes zu feiern», säuselte der Sommelier, als er die Karaffe brachte.
«Wem sagen Sie das! Die beiden Brüder haben gerade Neuland für ihr Reich erobert.»
«Darf man fragen, was?»
«Die Bescheidenheit.»
Sie ahnen es: Der groÃe Bruder setzte seine Nachforschungen heimlich fort.
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Im Grunde war aus mir eine Art Tourist geworden, ein besessener Tourist allerdings, einer von denen, wie Reisebüros sie lieben.
Ich gehörte zu den Kunden, die Reisen aneinanderreihen: im Anschluss an die Malediven Ãgypten; danach Peru, Island; dann die Geysire im Yellowstone-Park und die Felsen von Bandiagara (Mali) â¦
Ich war wie jemand, der am liebsten
überall
hinreisen würde, ungeachtet der Kosten, und der auch noch über die notwendige Zeit verfügt.
Ich muss an die zweihundert Bücher über das Jenseits gelesen haben. Ich traf keine Auswahl im endlosen Katalog der Orte, die den Toten vorbehalten sind. Ich hatte die Absicht, hatte es mir auch zur Aufgabe gemacht, so lange ein Ziel nach dem anderen anzulaufen, bis ich meine Frau wiedergefunden hätte.
An dieser Stelle meines Berichts muss ich mich der Lächerlichkeit aussetzen und Ihnen gestehen: Ich hielt mich für John Rowlands Stanley, den der
New York Herald
damit beauftragt hatte, Livingstone an den ungastlichen Ufern des Tanganjikasees zu suchen â¦
Werden Sie verärgert sein, überzeugt von meinem grundlegenden Mangel an Feingefühl, meiner vollkommenen Herz- und Lieblosigkeit, wenn ich Ihnen sage, dass die Zeit unmittelbar nach dem Begräbnis meiner Frau eine glückliche Zeit war?
John Rowlands Stanley (ich meine mich) zweifelte nicht daran, dass er seine Frau wiedertreffen würde, undfreute sich über die Gegenden, durch die er auf dem Weg zu ihr kam.
Diese Liste von Sommerfrischen post mortem halte ich immer bereit. Ich kann sie Ihnen nicht genug empfehlen. Schon das Nachschlagen wird Ihnen ein Vergnügen sein.
Wenn Sie bei der Lektüre bis hierhin gekommen sind, muss es eine Art Verwandtschaft zwischen uns geben. Sie sind wie ich: Seit der Kindheit und den Lektionen des Kindergottesdienstes ruft die traditionelle Geografie des Jenseits nur Spott bei Ihnen hervor. Allein die Hölle bereitet Ihnen Vergnügen. Das Fegefeuer gleicht zu sehr dem Leben hier auf Erden: Man findet immer Mittel und Wege, sein tägliches
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