Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
allein zugebracht hatte, genoss er es sichtlich, dass mit der Rückkehr seines Herrn und der Ankunft seiner Schüler Leben ins Haus eingezogen war. Bald nach dem Tee verabschiedete sich der unansehnliche Wagner-Freund, Zwetkow hingegen blieb über Nacht.
XIII
Die Sinfonie
Saschas bittere Seelenqual, die das Eingeständnis ihrer nicht gewollten, bedenkenlosen Liebe zu Iwan Iljitsch ausgelöst hatte, ging allmählich in ein entgegengesetztes Empfinden über: Die Liebe wurde zu einem Fest des Herzens, strahlend, heiter, überwältigend, und umfasste die ganze Welt und die gesamte Menschheit. Alles war nun bedeutungsvoll, alles entzückte, alles war leicht, und Saschas Seelenstärke und Tatkraft waren grenzenlos. Ihre Liebe war ihr, wenn sie auch nicht erwidert wurde, Glück genug. Zwar sehnte sich ihr ganzes Wesen nach Antwort, doch vorerst war sie es zufrieden. Allein in ihrer Vorstellungskraft malte sie sich stürmische Szenen der Innigkeit aus. Sie träumte davon, Iwan Iljitsch Inspiration zu sein, gemeinsam mit ihm seiner Kunst zu dienen. Nicht ein einziges Mal kam ihr in den Sinn, dass sie ihren Ehemann betrüge – ihre Liebe schien ihr nicht frevelhaft, ihr Ehemann blieb ihr Ehemann und sie seine treue Gattin, sie liebte ihn auf ihre Weise; ihre Empfindungen für Iwan Iljitsch hingegen schienen ihr von anderer Art, unvergleichlich, poetisch und künstlerisch, vergeistigt und feierlich, wie ein Geschenk des Himmels…
Pjotr Afanassjewitsch, dem nicht entging, dass Sascha nicht mehr verzweifelt, sondern heiter und ausgeglichen war, nahm an, sie habe ihre unglückselige Passion besiegt und sich gezügelt. Und dies beruhigte ihn. Er besaß keine eifersüchtige Natur, ihn hatte nur bekümmert, dass das harmonische Verhältnis zu seiner Gattin zerrüttet war, und sehnsüchtig wünschte er sich das einstige Vertrauen und das einstige unbeschwerte Leben zurück. Er glaubte, die Musik sei der Gegenstand von Saschas leidenschaftlicher Hingabe, und ermunterte sie sogar, Konzerte, die Oper und andere musikalische Veranstaltungen zu besuchen. Dort traf Sascha häufig Iwan Iljitsch, bisweilen lud sie ihn in ihre Loge ein oder nahm einen Platz neben dem seinen. Für sie war es das höchste Glück, den ästhetischen Hochgenuss, den die Musik zu geben vermochte, mit ihm zu teilen. Zuweilen, in Augenblicken einer außerordentlichen musikalischen Darbietung oder während des Vortrags eines besonders kunstreichen Stücks, suchten ihre Blicke einander, ohne dass sie ein Wort sprachen, und beide waren von Glück erfüllt, vereint durch die geliebte Musik.
Nach den Konzerten begleitete Iwan Iljitsch Sascha manchmal nach Hause und erläuterte ihr mit seiner leisen, wohlklingenden Stimme die komplizierte Harmonie eines musikalischen Werkes oder erzählte ihr vom Leben des Komponisten. Solange sie nebeneinander hergingen, verspürte Sascha, ohne ihrer Müdigkeit oder der Kälte gewahr zu werden, jene Seligkeit der Verliebten, die nichts zu wünschen übrig lässt, die von Gott gegeben ist und größer nicht sein kann.
Schließlich kam der sechsundzwanzigste Januar, an dem Iwan Iljitsch seine Sinfonie dirigieren sollte. Dies war ein derart bedeutsames Ereignis, dass aus Petersburg die Professoren des Konservatoriums anreisten, um das Werk zu hören. Einige Tage vor dem Konzert sah Sascha Iwan Iljitsch nicht mehr, sie begriff aber, dass er sich auf den Abend vorbereitete und jegliche Ablenkung von seiner Arbeit fürchtete.
Gegen neun Uhr am Abend näherten sich aus allen Richtungen, die berittenen Gendarmen umfahrend, Equipagen mit entzündeten Laternen, Schlitten, Mietdroschken und Kutschen der Philharmonie, fröstelnd traten jene, die zu Fuß kamen, eilig in das Gebäude. Es lag eine besondere Feierlichkeit über dem heutigen Ereignis, das Publikum schien nervös, aufgeregt und bereit, sich von Iwan Iljitsch und seinem Werk ergreifen zu lassen.
Auf den Treppen zum Nebeneingang, durch den Sascha das Haus zu betreten pflegte, standen zu beiden Seiten Frauen mit Bündeln, Hausknechte und Bedienstete und plauderten vergnügt. An der Tür saßen zwei Studentinnen des Konservatoriums an einem mit grünem Tuch bespannten Tisch und reichten den Konzertbesuchern mit fröhlichem Lächeln dienstfertig das Programm des Abends. Die Besucher warfen im Vorübergehen klimpernde Münzen auf einen großen Teller. In den Seitenhallen wogte die Menge in Erwartung des Klingelns hin und her.
Sascha hatte sich für diesen Abend ein weißes
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