Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
Kleid fertigen lassen. Es stand ihr vorzüglich zum vor Aufregung erglühten Gesicht, ihre Augen strahlten hell, und hell strahlten auch die Brillanten in Haar und Ohren; ihre Erscheinung unterstrich die Feierlichkeit und Bedeutsamkeit des Ereignisses. Sascha nickte ihren Bekannten zu, die der auffallend eleganten Gestalt voller Bewunderung nachsahen, und ließ sich, vor Erwartung bebend, auf dem von ihr abonnierten Sessel nieder. Iwan Iljitschs Sinfonie sollte das erste Stück sein. Da kamen auch schon die Musiker auf die Bühne und nahmen ihre Plätze ein. Zur Linken die beiden brünetten Schwestern mit ihren Geigen, zur Rechten der erste Geiger, ein grauhaariger, verdienter Professor des Konservatoriums. Das Durcheinander des Stimmens der Instrumente erschallte. Schließlich war alles still. Ungelenken, doch vornehm gemessenen Schrittes trat Iwan Iljitsch auf die Bühne. Das Publikum applaudierte, Iwan Iljitsch verbeugte sich leicht und blickte in Saschas Richtung. Sie erhaschte seinen Blick, neigte unbemerkt von den anderen den Kopf und lächelte. Für einen Augenblick dachte Iwan Iljitsch an jene weiße dahinfliegende Gestalt, damals beim gelben Sommerhaus, als er Sascha, die seinem Spiel gelauscht hatte, zum ersten Mal gesehen hatte; an jenem Abend war in ihm zum ersten Mal das prachtvolle Thema erklungen, auf welches die Sinfonie des heutigen Abends gründete. Der Augenblick der Rückschau war unmerklich kurz, und Iwan Iljitsch, ganz seiner Bestimmung hingegeben, die ihm das Höchste war, blickte blasswangig, aber voller Gelassenheit ins Orchester und begann mit präzisen, kraftvollen Bewegungen seine Sinfonie zu dirigieren.
«Bei Gott, wie wunderbar, wie vielsagend!», entzückte sich Sascha.
Bereits nach dem ersten Satz brandete Applaus auf. Dann erklang das ausdrucksvolle Andante . Welche Kraft des Gefühls, die sich immer gewaltiger in der komplexen Harmonie der Klänge offenbarte! In unterschiedlichster Verknüpfung erscholl das Thema wundervoll wieder und wieder. Die Mannigfaltigkeit der Stimmen, die sich in unerwarteten, originellen Schattierungen abwechselten, war außerordentlich. Und jäh ergoss sich ein unaufhaltsamer Fluss rauschhafter Glückseligkeit mit neuer Macht aus einer ungeahnten Untiefe in die festlichen Klänge des grandiosen Andante . Das Antlitz Iwan Iljitschs war nun ganz verändert. Die unterdrückte Aufregung, die Ernsthaftigkeit und Würde seines Ausdrucks ließen es fast schön erscheinen. Mit den kraftvollen und sicheren Bewegungen seiner ebenmäßigen Hände leitete er das Orchester, das ihm mit offensichtlichem Vergnügen folgte, und der Einklang zwischen dem Dirigenten und seinen Musikern war spürbar.
Der Erfolg war überwältigend. Viele Male musste sich der Maestro auf der Bühne zeigen. Das Publikum, durch das einzigartige Werk berauscht, verlieh seiner ehrlich empfundenen Begeisterung mit tosendem Beifall Ausdruck.
Sascha triumphierte. In der Pause begab sie sich hinter die Bühne zu den Musikern und fand dort den aufgewühlten Iwan Iljitsch. Fragend richtete er seinen hin und her eilenden Blick auf sie.
«Vortrefflich!», sagte Sascha mit versagender, tränenerstickter Stimme.«Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg. Allerdings habe ich keine Sekunde an ihm gezweifelt.»
«Ich habe sehr an ihm gezweifelt und zweifle noch. Im Saal sind so viele meiner Freunde. Dieser Erfolg ist doch, wie Sie es so oft bei anderen festgestellt haben, gemacht.»
Die Musiker traten zahlreich zu Iwan Iljitsch heran und sprachen ihre Glückwünsche aus. Von allen Seiten wurde er umringt und seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Sascha sah ihn an diesem Abend nicht wieder.
«Warum bin ich nicht seine Frau? Warum wage ich nicht, ihm zu folgen, seinen Triumph mit ihm zu teilen, vor der ganzen Welt stolz auf seinen Erfolg zu sein!», dachte Sascha verzweifelt, während sie an der Tür auf ihren Schlitten wartete, nach dem sie den Laufburschen geschickt hatte.«Und warum habe ich nicht den Mut, ihn in meinem Schlitten mitzunehmen und mit ihm dorthin zu fahren, wohin er nun zu Fuß geht, um ihm meine ganze Sympathie, meine Anerkennung, meine Begeisterung über sein geniales Werk zu bekunden! Wo ist er? Wo?»Jäh erhob sich in Sascha das Gefühl der Eifersucht auf all jene, mit denen er den heutigen Abend festlich begehen würde.
Ganz erregt von den durchlebten Eindrücken, nahm Sascha im Schlitten Platz, den ihre geliebten Schimmel zogen.«Ach, wozu brauche ich denn die Freuden des
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