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Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Titel: Lied ohne Worte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja
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zurück?», fragte Sascha entsetzt.«Nein, nein, das ist nicht nötig, wir müssen gleich wieder nach Hause, Aljoscha ist ja in seinem Pelzmantel viel zu warm.»
    Sascha wandte sich eilig zum Gehen, als plötzlich Iwan Iljitsch aus der Tür schaute und beim Anblick Saschas ganz verlegen wurde. Beide schwiegen unangenehm lang. Währenddessen führte Tichonytsch Aljoscha, dem er bereits den Mantel abgenommen hatte, in die Wohnung, wo der Knabe eine Tasse Schokolade bekommen sollte.
    «Ich wusste nicht, dass Sie bereits zurück sind, Iwan Iljitsch», begann Sascha als Erste und reichte ihm die Hand.
    «Ich grüße Sie, Alexandra Alexejewna, ich bin glücklich, Sie zu sehen», sagte Iwan Iljitsch mit seiner ruhigen Stimme.
    «Aljoscha hat schon so lange darum gebeten, Tichonytsch einmal zu besuchen, und ich habe es erlaubt, aber…»
    «Ich habe verstanden, dass Sie dachten, ich sei noch in Petersburg, und gekommen sind, um Tichonytsch zu besuchen; ich selbst hätte nicht zu hoffen gewagt, dass mir eine solche Ehre zuteilwird», sagte Iwan Iljitsch mit leiser Ironie.
    «Nicht Ehre, sondern…»
    «Sondern?»
    Iwan Iljitsch nahm Saschas Hand und hielt sie lange in der seinen, die warm und weich war.«Kommen Sie herein, Alexandra Alexejewna?»
    «Ja, das lässt sich nun wohl nicht vermeiden. Wenn ich schon einmal hier bin, dann bleibe ich auch», antwortete Sascha, legte ihre Jacke ab und trat ins Zimmer Iwan Iljitschs.
    «Wir haben einander nicht mehr gesehen seit jenem Abend, an dem Sie Ihren Erfolg feierten, Iwan Iljitsch. Und wie war es in Petersburg? »
    «Vielen Dank, in Petersburg wurde ich nicht mit solchen Ovationen empfangen. Hier in Moskau haben meine Freunde den Erfolg aufgebauscht. »
    «Aber Ihre Sinfonie ist wirklich sehr gut…»
    Sascha verhielt sich unnatürlich und unsicher. Sie fühlte, dass es ihr, einer jungen Frau, nicht anstand, hier bei Iwan Iljitsch zu sein, doch die Glückseligkeit, ihn zu sehen, war derart stark, dass sie fortzugehen nicht imstande war. Aus dem Nachbarzimmer waren die lebhaften Stimmen Aljoschas und Tichonytschs zu vernehmen.
    «Da haben sich zwei gefunden, jung und alt», sagte Iwan Iljitsch.«Wie sie sich amüsieren.»
    «Ich wollte Sie noch fragen, Iwan Iljitsch, wo Sie jenen Abend verbracht haben, an dem Sie Ihre Sinfonie hier in Moskau aufgeführt haben?», erkundigte sich Sascha unvermittelt.«Sie haben sicher mit Ihren Musikerfreunden zu Abend gegessen?»
    «Nein, so etwas behagt mir gar nicht, und ich suche es zu vermeiden; ich wollte früh nach Hause und mich schlafen legen, doch am Haupteingang hat sich Anna Nikolajewna auf mich gestürzt und bestand darauf, dass ich sie nach Hause begleite. Ich begleite ungern Damen nach Hause… doch es führte kein Weg daran vorbei.»
    Anna Nikolajewna war Sängerin an einem Opernhaus in der Provinz und hatte Iwan Iljitsch einst umschmeichelt; Sascha wusste davon. Es hieß, er sei ihr in frühen Jahren sehr zugetan gewesen. Rasende Eifersucht und furchtbarer Verdruss darüber, dass Iwan Iljitsch ebenjenen Abend, an dem sie alle Aufregung und Freude über seinen Erfolg mit ihm empfunden hatte, mit einer anderen verbracht hatte, erfassten Sascha mit solcher Heftigkeit, dass ihr der Atem schwand. 47 An jenem Abend, als sie ihr Leben gegeben hätte, um mit ihm zusammen zu sein, saß er neben dieser schielenden Frau, die sich jünger gab, als sie war, in der Kutsche und hörte sich ihre weitschweifigen, vulgären Reden an.
    «Sie begleiten ungern Damen nach Hause? Spielen Sie, Iwan Iljitsch, darauf an, dass Sie auch mich bisweilen nach einem Konzert begleiteten, und wollen Sie damit sagen, dass Ihnen dies lästig und unerträglich war?», stieß Sascha hervor, ohne auf Höflichkeit und Sitte zu achten.
    «Aber nein, Alexandra Alexejewna, ich habe nicht nachgedacht…»
    «Sie haben nicht nachgedacht und mich beleidigt», sagte Sascha fassungslos, mit tränenerstickter Stimme.«Ich brauche keine Kavaliere, die mich begleiten, ich könnte ihrer viele haben», fuhr sie stolz fort.«Ich hielt Sie für einen Freund, für einen mir nahestehenden Menschen, ich liebte die Gespräche mit Ihnen, ich achtete Sie so hoch wie niemanden sonst auf der Welt… und Sie machen derartige Anspielungen…»Sascha war außer sich, und die weit aufgerissenen, tränenfeuchten Augen blitzten nicht mehr arglos, sondern voll wahnsinniger Leidenschaft.
    «Alexandra Alexejewna, verzeihen Sie, wenn ich Sie gekränkt haben sollte», erwiderte Iwan Iljitsch

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