Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
gefüllten Piroggen. Ihre Miene war ehrfurchtsvoll und gewichtig ob des Ereignisses, an dem sie teilhatten.
Als etwa zweihundert Frauen eingelassen worden waren und diese sich wohlgesittet hinter den Bänken aufgestellt hatten, kam ein Priester und sprach Gebete für die Seligkeit der Dahingegangenen, begleitet von einem Chor herrlich singender Nonnen. Während die Gebete gesprochen wurden, lauschten alle andächtig und bekreuzigten sich. Dann teilten die Novizinnen Löffel aus und begannen, die Kohlsuppe auszuschenken, indem sie die Schüsseln so auf den Tischen plazierten, dass mehrere daraus essen konnten.
Sascha war beeindruckt von der Ruhe und der Wohlerzogenheit, in der alles sich vollzog. Es schien, als ob die große Menschenmenge einen Gottesdienst zelebrierte. Sie trat an einen Tisch heran, an dem nur Kinder saßen, und war beglückt von deren heiterer Stimmung, als man ihnen Kisel mit Milch zum Nachtisch reichte.
Während des gesamten Essens las eine junge Nonne mit hoher, heller Stimme aus der Vita des heiligen Isidor 44 .
Die Speisung neigte sich bereits ihrem Ende zu, Bier und Honig in Krügen wurden ausgeteilt, und eine betagte Nonne, die Mutter Schatzmeisterin, gab im Namen der Äbtissin an alle Frauen eine Fünfkopekenmünze aus.
Nach der Speisung sprach der Priester wieder ein Gebet, und die Frauen verließen die Kirche. Eine jede trat dabei zu den beiden greisen Nonnen, die an den Türen standen, und dankte ihnen. Die Nonnen küssten die Frauen direkt auf den Mund und sprachen:«Nun, ihr seid satt geworden, nun, Gott sei Dank dafür, nun, Gott sei mit euch…»Und die Frauen bekreuzigten und verneigten sich.
Als die erste Gruppe der Bedürftigen durch die eine Tür hinaus- und die nächste durch eine andere Tür hineingelassen wurde, ging Sascha zur Mutter Schatzmeisterin und fragte sie, wie lange sie schon im Kloster sei und was in ihr den Wunsch, in den Orden einzutreten, geweckt habe.
«Ach, liebe, gnädige Frau, seit ich vierzehn Jahre alt war, träumte ich davon, ins Kloster zu gehen. Mein Vater war ein kleiner Beamter in einer Stadt in der Provinz», begann sie zu erzählen.«Er wollte gar nichts davon hören, dass ich Nonne werde, doch ich sehnte mich so sehr danach, und mit siebzehn bin ich dann, so wie ich war, aus dem Elternhaus fortgelaufen, geradewegs nach Moskau. Was ich auf dem Leibe trug, war alles, was ich hatte.»
«Wie denn, ohne Geld, ohne Moskau zu kennen? »
«Alles liegt in Gottes Hand, meine Gute. Mit Christi Hilfe habe ich den Weg gefunden, gütige Menschen haben mich in dieses Kloster geschickt. Ich ging gleich zur Äbtissin, auch sie war sehr gütig.»
«Und sie hat Sie sogleich aufgenommen?»
«Sie sagte, bleib, Gott hat dich hierher gewiesen. Für die erste Zeit wurde mir als Bußdienst zugeteilt, mich um Alte und unheilbar Kranke im Siechenhaus zu kümmern. Das schien mir am Anfang sehr schwer; doch ich habe es ausgehalten. Die Äbtissin lobte mich und wies mir einen anderen Dienst zu, der leichter war. So lebe ich nun vierzig Jahre schon hier, bin es zufrieden und danke Gott für alles…»
Ein gütiges, beseeltes Lächeln legte sich auf die Lippen der alten Klosterfrau, und ihr klares, ruhiges, runzliges Gesicht erstrahlte so glückselig, dass Sascha geradezu von Neid erfüllt wurde. Welcher Friede ging doch von der Mutter Schatzmeisterin aus!
An der nächsten Säule stand eine weitere Nonne, hochgewachsen, dick, mit dem Rücken gegen die Säule gelehnt, äußerlich ganz das Gegenteil derer, mit welcher Sascha gerade gesprochen hatte. Ihr finsteres Gesicht zeigte absolute Hoffnungslosigkeit, obgleich ihre Lippen ein Gebet flüsterten. Sascha trat vorsichtig zu ihr hin und grüßte.«Sind Sie, liebe Mutter, schon lange bei den Schwestern?»
«Lange schon bete ich, so viele Jahre schon bete ich, mein Herz ist zu Stein geworden, viele Sünden habe ich auf mich geladen.»
«Was lässt Sie, liebe Mutter, so verzweifelt sein?»
«Oh, die Bürde meiner Sünden, dreißig Jahre bete ich und kann doch keine Vergebung erlangen, ich bin ganz versteinert.»
«Ja, haben Sie denn wirklich eine besondere Schuld auf sich geladen?»
«Meine Sünde ist so schwer, dass niemand dafür Vergebung aussprechen kann, auf Jahrhunderte kann sie nicht vergeben werden, schwer ist die Bürde meiner Sünde, oh, oh», stöhnte sie ohne Unterlass, immer wieder das Kreuz schlagend. Ihr Gesicht war versteinert wie ihr Herz, ihr gewaltiger Körper stand fest und unbewegt,
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