Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
Triumphes von Iwan Iljitsch?», dachte Sascha, zur Besinnung kommend.«Wo bleibt da die Musik, wo bleibt die reine Freude, der Trost, das Entzücken, die mir die Kunst einst gab? Ich will diese Abhängigkeit nicht, ich will diese Liebe nicht! Die Kunst soll unbefleckt von allem Menschlichen bleiben; sie steht höher, ist großartiger und soll auch für mich diese erhabene Stellung bewahren. Warum nur habe ich sie durch ein niedriges Gefühl entweiht? Warum nur bin ich nicht so frei geblieben, wie Iwan Iljitsch selbst es ist! Er hat recht, tausend Mal recht, und ich… ich bin verloren», dachte Sascha verzagt. Es herrschte starker Frost. Die Kälte hatte alles mit einer festen Schicht silbrigen Schnees überzogen. Er lag auf Bäumen, Dächern, Zäunen, Pfosten, Trottoiren, Gesimsen, Pferden, Menschen, als ob er geflissentlich alles Unreine, Unebene, Unwirsche, Unschöne mit einer glatten, schillernden, makellosen weißen Decke zu verhüllen suchte. Er bedeckte die Erde, versilberte Luft und Himmel, und sein erhabenes Weiß wetteiferte mit dem gelben Licht der Laternen und den roten Flammen der Feuer an den Ecken der Moskauer Straßen, um die sich ausgelassene Knaben versammelt hatten und an denen finster sich die Armen in ihren zerrissenen Hosen und offenen, löchrigen Bastschuhen wärmten.
Hoch oben in der Luft strebten die ebenfalls vom Schnee gepuderten Strahlen der Telegraphenkabel in unterschiedliche Richtungen – jene Übermittler der gewichtigen und ergreifenden Nachrichten der Menschheit: des Todes, der Geburt, der Hochzeit, des Sieges, der Feuersbrunst, des Unglücks und Glücks allen menschlichen Lebens. Die schneebedeckten Drähte durchschnitten scharf den dunklen, fernen, unendlichen Raum des Himmels, an dem die eisstarren Sterne in der frostigen, silbrigen Luft wie erfroren schimmerten.
Sascha schien, dass die Schönheit dieser Winternacht mit ihr den Erfolg des geliebten Menschen festlich beging. Doch in dieser Pracht lag nicht das Gefühl der irdischen Liebe zu ihm, sondern der Triumph der Kunst, die nunmehr, so wähnte Sascha, in allem erstrahlte, auf das der Frost sich silbern und feierlich gelegt hatte, und die ebenso makellos, erhaben und ewigwährend war wie die Natur.
XIV
Eifersucht
Die Freunde Iwan Iljitschs und seiner Musik überredeten ihn, auch in Petersburg seine Sinfonie vorzustellen. Sascha bedrückte der Gedanke, Iwan Iljitsch längere Zeit nicht sehen zu können. Mit derselben Leidenschaft, mit der sie alles im Leben zu tun pflegte, gab sie sich der Musik hin, spielte bis zu sechs Stunden jeden Tag, machte große Fortschritte, doch eine hoffnungslose Schwermut gewann Macht über sie.
Sie wurde so mager und hinfällig, dass Pjotr Afanassjewitsch sich ernsthaft sorgte und Ärzte herbeirief, die jedoch keine Erklärung für Saschas Zustand finden konnten. Ihr schöner Leib war äußerlich vollkommen unversehrt, lediglich Erschöpfung, nervliche Anspannung und der erbarmungswürdige Blick ihrer großen, ernsthaften, schwarzen Augen konnten festgestellt werden. Man verordnete ihr Ruhe, Brom, tägliche Spaziergänge und Bäder. Falls ihr Zustand sich nicht bessere, wurde eine Reise auf die Krim oder ins Ausland empfohlen.
«Mama, was ist eigentlich mit dem alten Tichonytsch, der mit Iwan Iljitsch im Sommerhaus war?», fragte eines Tages Aljoscha.
«Er ist hier, in Moskau, er lebt immer noch bei Iwan Iljitsch.»
«Ach, liebe Mama, lass uns ihn doch einmal besuchen», bat Aljoscha.«Ich habe diesen netten Alten mit seinem zweigeteilten gelben Bart so gern.»
«Gut, Aljoscha, wir besuchen ihn», willigte Sascha ein, die Iwan Iljitsch in Petersburg wähnte und heimlich davon träumte, einen Blick auf jenen Ort zu werfen, an dem der geliebte Mensch lebte und seine Werke schuf.
Sascha war ein wenig bang, es war ihr peinlich, in die Junggesellenwohnung einzudringen, doch der Wunsch ihres Sohnes und Iwan Iljitschs Abwesenheit waren ihr Rechtfertigung genug. Aljoscha hatte etwas Tabak für Tichonytsch mitgebracht und war außer sich vor Freude, als sich nach dem Klingeln sogleich der betagte Hausdiener zeigte.
«Aljoschenka, mein Lieber, Sie sind das, das ist ja schön, dass Sie sich an mich alten Mann erinnert haben», begrüßte Tichonytsch das Kind.
«Das ist für Sie, Tichonytsch», sagte Aljoscha und überreichte feierlich sein Geschenk.
«Ich danke Ihnen, Aljoschenka, treten Sie ein, ich werde Sie gleich Iwan Iljitsch melden.»
«Iwan Iljitsch?! Ja, ist er denn schon
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