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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Lied ist alles, was ich jetzt noch habe, damit ich nachdenken kann. Und ich habe es gebraucht, weil ich viel nachgedacht habe.«
    »Ich hab' dich gewarnt vor der Denkerei«, sagte ich im Spaß.
    Aber er lachte nicht.
    »Ja. Du hast auch recht gehabt. Oder ich, oder Shakespeare ... oder wem man die Warnung vor dem Denken zuschreiben will. Aber manchmal kann man sich einfach nicht helfen. Es gehört zum Menschsein. Stimmt's?«
    »Schon möglich.«
    »Ich weiß es. Also denke ich mit meiner Musik. Es fließt kein Wasser mehr vorbei, bei dem man denken könnte, und die Sterne sind alle verdeckt. Und Sandi gibt es nicht mehr. Jetzt endgültig nicht mehr. Weißt du, Gary ... wenn ich weitermachen würde, von einem Tag zum anderen, und nicht soviel nachdächte, könnte ich sie vielleicht vergessen. Ich könnte vielleicht sogar vergessen, wie sie ausgesehen hat. Glaubst du, Pete erinnert sich an seine Puppe?«
    »Ja«, sagte ich. »Und du wirst dich an Sandi erinnern. Davon bin ich überzuegt. Aber vielleicht nicht mehr soviel ... und das ist vielleicht das Beste. Manchmal ist es gut, zu vergessen.«
    Dann sah er mich an. Blickte mir in die Augen.
    »Aber ich will nicht vergessen, Gary. Und ich werde nicht. Ich werde nicht.«
    Und dann begann er zu spielen. Das selbe Lied. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ich versuchte mit ihm zu reden, aber er hörte nicht zu. Seine Finger spielten weiter, wild, unaufhaltsam. Und die Musik und der Wind wehten meine Worte fort.
    Schließlich gab ich auf und ging. Es war ein weiter Weg zurück zum Gemeinschaftshaus, und Keiths Gitarre verfolgte mich durch das Nieseln.
     
    Winters weckte mich im Gemeinschaftshaus, schüttelte mich von meiner Koje in ein düsteres, graues Morgengrauen. Sein Gesicht war noch grauer. Er sagte nichts; er wollte wohl die anderen nicht wecken. Er winkte mich nur nach draußen.
    Ich gähnte, reckte mich und folgte ihm. Vor der Tür bückte sich Winters und hielt mir eine zerbrochene Gitarre hin.
    Ich starrte sie dumpf an, dann richtete ich den Blick auf ihn. Mein Gesicht mußte die Frage gestellt haben.
    »Er hat sie Pete auf den Kopf geschlagen«, sagte Winters. »Und das Chronin mitgenommen. Ich glaube, Pete hat eine leichte Gehirnerschütterung, aber er wird sich wohl erholen. Ein Glück. Er könnte leicht tot sein.«
    Ich hielt die Gitarre in den Händen. Sie war zerschmettert, das Holz geplatzt und zerfetzt, mehrere Saiten waren abgerissen. Es mußte ein ungeheurer Hieb gewesen sein. Ich konnte es nicht glauben.
    »Nein«, sagte ich. »Keith ... nein, er könnte nicht...«
    »Es ist seine Gitarre«, sagte Winters. »Und wer würde sonst das Chronin nehmen?« Dann wurde sein Gesicht weicher. »Es tut mir leid, Gary, wirklich. Ich glaube, ich verstehe, warum er es getan hat. Aber ich will ihn trotzdem holen. Kannst du dir vorstellen, wo er ist?«
    Ich wußte es natürlich. Aber ich hatte Angst.
    »Was ... was willst du tun?«
    »Keine Bestrafung«, sagte er. »Keine Sorge. Ich will nur das Chronin wiederhaben. Beim nächstenmal sind wir vorsichtiger.«
    Ich nickte.
    »Okay«, sagte ich. »Aber Keith geschieht nichts. Ich lege mich mit dir an, wenn du dein Wort nicht hältst, und die anderen werden es auch tun.«
    Er sah mich nur an, ganz traurig, so, als sei er enttäuscht darüber, daß ich ihm mißtrauen konnte. Er sagte kein Wort. Wir legten die eine Meile zum Bach stumm zurück. Ich trug noch immer die zerschlagene Gitarre.
    Keith war natürlich da. Eingewickelt in seinen Schlafsack, die Zigarrenkiste neben sich. Ein paar Beutel waren noch da. Er hatte nur einen genommen.
    Ich bückte mich, um ihn zu wecken. Aber als ich ihn berührte und herumdrehte, fielen mir zwei Dinge auf. Er hatte sich den Bart abrasiert. Und er war ganz, ganz kalt.
    Dann bemerkte ich die leere Flasche.
    Wir hatten zusammen mit dem Chronin damals andere Drogen gefunden. Sie wurden nicht einmal bewacht. Keith hatte Schlaftabletten genommen.
    Ich stand auf, ohne ein Wort zu sagen. Ich brauchte nichts zu erklären. Winters hatte alles ganz schnell aufgenommen. Er betrachtete den Toten und schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte wissen, warum er sich rasiert hat«, sagte er schließlich.
    »Ich weiß es«, erklärte ich. »Damals, als er mit Sandi zusammen war, hat er nie einen Bart getragen.«
    »Ja«, sagte Winters. »Na ja, liegt ja nahe.«
    »Was?«
    »Der Selbstmord. Er hat immer labil gewirkt.«
    »Nein, Leutnant«, sagte ich. »Da irren Sie sich. Keith hat nicht Selbstmord begangen.«
    Winters

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