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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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ich bin kein religiöser Mensch. Vor langer Zeit, als ich noch ein kleines Kind war und auf ai-Emerel aufwuchs, entschied ich, daß es weder Gut noch Böse gebe, sondern nur verschiedene Denkweisen.« Seine kleinen, weichen Hände tasteten im Staub herum, bis er einen großen, gezackten Splitter gefunden hatte, der seine Faust füllte. Er stand auf und hielt ihn Ryther hin. »Die Stahlengel lassen mich wieder an das Böse glauben«, sagte er.
    Sie nahm ihm das Fragment wortlos aus der Hand und drehte es in den Händen. Ryther war viel größer als neKrol, und auch viel schmaler, eine harte, knochige Frau mit langem Gesicht, kurzen, schwarzen Haaren und Augen ohne Ausdruck. Der verschwitzte Overall, den sie trug, hing locker an ihrem hageren Körper.
    »Interessant«, sagte sie schließlich, nachdem sie den Splitter ein paar Minuten lang betrachtet hatte. Er war so hart und glatt wie Glas, aber widerstandsfähiger; von durchsichtiger roter Farbe, doch so dunkel, daß er beinahe schwarz erschien.
    »Kunststoff?« fragte sie, als sie ihn wieder zu Boden fallen ließ.
    neKrol zuckte die Achseln.
    »Das dachte ich auch, aber es ist natürlich völlig ausgeschlossen. Die Jaenshi arbeiten in Bein und Holz und manchmal in Metall, aber Kunststoff liegt für sie noch Jahrhunderte entfernt.«
    »Oder hinter ihnen«, sagte Ryther. »Sie sagen, diese Betpyramiden seien im ganzen Wald verstreut?«
    »Ja, so weit ich herumgekommen bin. Aber die Engel haben alle, die sich in der Nähe ihres Tales befinden, zerschlagen, um die Jaenshi zu vertreiben. So, wie sie sich ausdehnen, und sie werden sich ausdehnen, zerstören sie die anderen.«
    Ryther nickte. Sie schaute wieder hinunter in das Tal, und in diesem Augenblick glitt das letzte Randsegment vom Herzen Bakkalons hinter das westliche Gebirge, und die Lichter in der Stadt wurden hell. Die Jaenshi-Kinder baumelten in Pfützen sanften, blauen Lichts, und unmittelbar über dem Stadttor konnte man zwei Strichgestalten arbeiten sehen. Nach kurzer Zeit hievten sie etwas hinaus, ein Tau entrollte sich, und dann zuckte und hampelte ein neuer kleiner, dunkler Schatten vor der Mauer.
    »Warum?« sagte Ryther mit kühler Stimme, während sie zusah.
    neKrol war alles andere als kühl.
    »Die Jaenshi haben versucht, eine ihrer Pyramiden zu verteidigen. Speere und Messer und Steine gegen die Stahlengel mit Lasern und Strahlern und Kreischwaffen. Aber sie überfielen sie unvermutet und töteten einen. Der Proktor erklärte, daß das nicht wieder vorkommen werde.« Er spuckte aus. »Das Böse. Die Kinder vertrauten ihnen, wissen Sie.«
    »Interessant«, sagte Ryther.
    »Können Sie irgend etwas tun?« fragte neKrol erregt.
    »Sie haben Ihr Schiff, Ihre Mannschaft. Die Jaenshi brauchen einen Beschützer, Jannis. Sie sind den Engeln gegenüber hilflos.«
    »Ich habe vier Mann in meiner Besatzung«, sagte Ryther gleichmütig. »Vielleicht auch vier Jagdlaser.« Das war alles, was sie erwiderte.
    neKrol sah sie hilflos an.
    »Nichts?«
    »Morgen wird uns vielleicht der Proktor aufsuchen. Er hat die ›Lights‹ gewiß herunterkommen sehen. Vielleicht wollen die Engel Handelsgeschäfte machen.« Sie warf einen Blick zurück in das Tal. »Kommen Sie, Arik, wir müssen zurück zu Ihrem Stützpunkt. Die Waren müssen verladen werden.«
     
    Wyatt, Proktor der Kinder Bakkalons auf der Welt Corlos, war groß und rot und skeletthaft, und die Muskeln an seinen nackten Armen traten auffällig hervor. Sein blauschwarzes Haar war ganz kurz geschnitten, seine Haltung steif und aufrecht. Wie alle Stahlengel trug er eine Uniform aus Chamäleon-Stoff (jetzt von hellem Braun, als er im hellen Tageslicht am Rand des kleinen, primitiven Raumflugfeldes stand), einen Stahlgeflechtgürtel mit Handlaser und Kommunikator und Kreischpistole, und einen steifen roten römischen Kragen. Das winzige Figürchen, das an einer Kette um seinen Hals hing – das bleiche Kind Bakkalon, nackt und unschuldig und strahlenden Auges, aber ein mächtiges, schwarzes Schwert in einer kleinen Faust – war das einzige Abzeichen von Wyatts Rang.
    Vier andere Engel standen hinter ihm: zwei Männer, zwei Frauen, alle gleich gekleidet. Auch ihre Gesichter hatten etwas Gleichartiges; das Haar war bei allen kurzgeschoren, ob es blond oder rot oder braun war; die Augen waren wachsam und kalt und ein wenig fanatisch; die Haltung, die typisch für die Mitglieder der militärisch-religiösen Sekte zu sein schien, war aufrecht; die Körper waren hart und

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