Liegen lernen
auf eine Mauer und wartete. Eine Stunde später kam sie heraus. Ich tat, als sei ich zufällig da.
»Ich kam gerade vorbei«, sagte ich.
Sie nickte.
»Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?« fragte ich.
»Meinetwegen.«
Wir gingen in ein Cafe ganz in der Nähe, eines, in dem alte Frauen saßen, die ihre Hüte nicht abnahmen. Die Stühle waren nachgeäffter Biedermeier, auf den Tischen lagen schwere Dekken mit gestickten Bordüren. Wir hatten uns kaum hingesetzt, da zündete Barbara sich eine Zigarette an. Ich bestellte ein Kännchen Kaffee und zwei Tassen. Ich sagte Barbara, daß ich prima fände, was sie mache.
»Woher weißt du, was ich mache?«
»Naja«, sagte ich, »das mit dem Theater und so.«
»Wann warst du das letzte Mal im Theater?«
»Weiß nicht. Ist schon was her.«
»Woher willst du dann wissen, daß das toll ist?«
»Stelle ich mir so vor.«
»Es ist Scheiße.«
»Aha.«
»Gequirlte Scheiße.«
»Warum machst du’s dann?«
»Frage ich mich auch oft.« Sie drückte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.
»Was genau ist so Scheiße?«
»Alles. Streß und Lügen.«
»Na, das ist doch interessant.«
»Nicht, wenn man mittendrin steckt.«
Der Kaffee kam, und sie steckte sich die nächste Zigarette an. Ich betrachtete die Kellnerin. Sie war Mitte Fünfzig und kompakt. Sie trug schwarze Sandalen. An beiden Füßen lag ihr Zeigezeh auf dem großen. Sie sah nicht aus, als hätte sie Spaß an ihrer Arbeit. Die alten Frauen an den Tischen beschäftigten sich mit nichts. Sie lasen keine Zeitungen oder Bücher und unterhielten sich auch nicht. An einem Tisch saß ein älterer Mann in einem dunklen Anzug mit einem Einstecktuch in der Brusttasche. Auch er beschäftigte sich mit nichts, sah sich nur um. Vielleicht träumten sie von etwas. Manche rauchten.
Irgendwann war der Kaffee alle, und im Aschenbecher lagen sechs oder sieben halb gerauchte Zigaretten. Ich zahlte, und wir gingen raus. Ich sagte, ich müsse noch etwas erledigen und daß wir uns ja später in der Wohnung sehen würden. Barbara sagte »Okay«, drehte sich um und ging. Ich sah ihr nach, bis sie um eine Ecke bog.
Ich hatte nicht wirklich etwas zu erledigen. Ich lief noch ein wenig durch die Gegend. Als ich zu Hause ankam, hatte Gisela Abendbrot gemacht. Barbaras Tür war zu.
Ich lauerte Barbara in der nächsten Zeit ständig auf. Hätte mich jemand gefragt, warum ich das tat, hätte ich gesagt, dies sei ein freies Land. Ich wußte es nicht. Ich hatte mich an der Supermarktkasse ganz eindeutig für das Hanuta entschieden, und eigentlich mochte ich auch gar keine Trauben-Nuß-Schokolade, aber sie war da, und niemand konnte es sehen, wenn ich sie einfach in die Tasche steckte.
Morgens war ich entweder in der Uni oder im Parkhaus. Ich arbeitete an einem Referat über Hexenverbrennungen. Am späten Nachmittag saß ich dann auf der Mauer am Bühneneingang und wartete. Manchmal kam sie gar nicht, und ich ging nach Hause. Aber meistens gingen wir in dieses Cafe. Ich erzählte ihr, was ich an der Uni so machte, und sie hörte zu und rauchte. Wenn ich sie fragte, sagte sie mir, wie es am Theater war. Es ging ein paar Tage etwas besser. Dann ging es wieder schlechter.
Eines Nachmittags bestellte ich einen Cognac zum Kaffee, stürzte ihn hinunter und sagte: »Ich möchte mit dir schlafen.«
Barbara drückte die Zigarette aus und fragte: »Jetzt sofort?«
»Nein. Ich dachte, am Wochenende, wenn Gisela nicht da ist.«
»Samstag nachmittag hätte ich Zeit.«
»Paßt mir gut.«
Ich zahlte, und wir gingen hinaus.
Am Samstag morgen brachte ich Gisela zum Bahnhof. Sie wollte eine Freundin in Koblenz besuchen und über Nacht bleiben. Am Bahnhof nahm ich Gisela in den Arm und küßte sie und streichelte ihren Rücken und faßte ihren Busen an. Sie lächelte. Sie streichelte mich ein bißchen, und dann kam der Zug, und wir ließen es sein. Ich war plötzlich voller Verlangen nach ihr. Ich wollte jetzt sofort Sex mit ihr. Ich wunderte mich selbst, aber so war es. Ich bekam einen Ständer und umarmte Gisela und drückte mich an sie, damit sie merkte, was los war. Sie sah mich verwundert an. Dann lächelte sie. »Schade«, sagte sie, »das geht jetzt nicht.« Nein, das ging nicht.
Ich winkte ihr zum Abschied und wartete, bis der Zug aus dem Bahnhof verschwunden war. Dann ging ich in ein Cafe und frühstückte. Danach ging ich durch die Stadt. Ich sah einem Mann ohne Beine beim Akkordeonspielen zu und warf zwei Mark in seine
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