Liegen lernen
Mittag.
»Okay«, sagte Gloria, »ich kenne da einen netten Biergarten etwas außerhalb, da gehen wir hin. Da ist es nicht so überlaufen.«
»Prima«, sagte ich.
Auf der Treppe sagte ich ihr, daß sie sehr gut aussehe. Sie lachte und sagte, Komplimente seien offenbar ebenso wenig meine Sache wie Wohnungseinrichtungen.
»War das falsch?«
»Na hör mal«, sagte sie, »so was sagt man doch nicht im Treppenhaus! Entweder hättest du es noch vor der Begrüßung sagen müssen oder viel später, im Biergarten, wenn es dunkel ist, nachdem wir beide ein paar Biere getrunken haben und anfangen, uns tief in die Augen zu sehen. Dann hätte ich erwägen können, rot zu werden und verlegen den Blick zu senken, und du wärst dir wie ein großer Verführer vorgekommen.«
Der Sportwagen war ein Alfa und ziemlich klein. Zunächst suchte ich nach dem Gurt, aber als Gloria darauf verzichtete, sich anzuschnallen, ließ ich es bleiben. Sie fuhr Auto, wie sie Treppen stieg.
»Toll, was?« sagte sie.
»Was jetzt genau?«
»So ein Wagen. Offen. Der Fahrtwind.«
»Was machst du damit im Winter?«
»Da steht er in der Garage. Im Winter fahre ich einen anderen Wagen.«
»Toll.«
»Ich habe Geld, mußt du wissen.«
»Was machst du?«
»Beruflich? Ich bin Sportreporterin.«
»Echt wahr? Und die werden so gut bezahlt?«
Sie sah mich an, eine runde, vollverspiegelte Sonnenbrille auf der Nase, in der ich zweimal mein fragendes Gesicht sah. »Ich bin übrigens siebenundzwanzig und damit wahrscheinlich fünf bis sechs Jahre älter als du. Ich finde, wir sollten die unangenehmen Sachen gleich am Anfang hinter uns bringen.«
Wieder sah sie mich an, lange. Bis ich den Vorschlag machte, sie solle doch mal wieder nach vorn schauen, wo der restliche Verkehr sich weigere, einfach zu verschwinden. Sie sagte: »Ich habe den Eindruck, als würde ich dich schon seit Wochen kennen.«
»Ich habe doch noch kaum etwas gesagt.«
»Trotzdem.« Jetzt sah sie endlich wieder nach vorn.
Im Biergarten waren trotz des guten Wetters tatsächlich noch einige Tische frei. Wir nahmen einen im Schatten einer großen Kastanie. Gloria zog ihr Jackett aus. Ihre Oberarme waren gesprenkelt mit Sommersprossen. Sie streckte die Arme nach hinten und reckte sich wie nach einer langen Autofahrt, und ich konnte sehen, daß sie unter den Armen rasiert war. Wir bestellten Bier.
»Okay«, sagte sie, »erzähl mir von dir!«
»Was denn?«
»Alles. Wo du herkommst, wer deine Eltern sind, wie du an den Job im Parkhaus gekommen bist, wie es mit deinem Studium läuft, was du danach machen willst, wer deine Freunde sind, in wen du verliebt warst, mit wem du zusammen und mit wem du nur im Bett warst.«
»Das ist eine ganze Menge.«
»Ich habe Zeit.«
Ich ließ es langsam angehen, erzählte erst mal von Beck und vom Studium. Dann fragte ich sie, wieso sie Sportreporterin geworden sei.
»Ist immer noch ungewöhnlich, nicht wahr?« sagte sie und lachte und nahm einen Schluck Bier. »Ich liebe Wettkämpfe«, sagte sie, »ich liebe Fußball und ich schreibe gern. Und mein Vater haßt das alles. Das ist vielleicht der stärkste Grund.«
Dann ließ sie mich reden. Ich erzählte von allen möglichen Dingen und Leuten. Von Mücke. Sie fragte mich nach Frauen. Ich erzählte ihr von Britta und Gisela. Aber ich ließ ein paar Details weg. Der Abend ging dahin.
Als sie mich wieder zu Hause ablieferte, sagte sie: »Ich hoffe, du verstehst, daß ich nicht gleich bei der ersten Verabredung mit nach oben komme. Aber ich will dich wiedersehen. Wie war’s mit Samstag?«
»Samstag…« Ich tat, als müßte ich im Kopf meine zahlreichen Termine durchgehen, um sie irgendwo dazwischenschieben zu können. »Samstag ist okay.«
»Kannst du kochen?«
»Nein.«
»Frauensache, was?«
»Ich hab’s einfach nie gelernt.«
»Weil das in eurer Familie Frauensache war. Naja, ist auch egal, ich kann auch nicht kochen. Also komme ich am Samstag gegen acht bei dir vorbei und bringe Pizza mit. Bist du wählerisch, was den Belag angeht?«
»Alles, außer Spinat.«
»Gut. Du besorgst ein Video, und wir sehen uns was Nettes an.«
»Welche Art von Film?«
»Komödie oder Thriller. Nur kein Horror, Western oder Science-fiction. Und natürlich kein Schweinkram.«
»Geht klar.«
Und dann beugte sie sich zu mir herüber, legte mir eine Hand auf die Schulter und küßte mich auf die Wange. Ich ging zur Tür. Bevor ich aufschloß, drehte ich mich noch einmal um. Sie raste die Straße hinunter und
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