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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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Frühling kam, saß ich am offenen Fenster und löffelte heiße Ravioli. Ich war einundzwanzig Jahre alt, hatte ein Auto, eine Wohnung, eine Menge Musik und meine erste echte Trennung hinter mir. Ich konnte in Ruhe abwarten, was als nächstes kam.

9
    Sie hieß Gloria, und eines Tages im Sommer, ein paar Monate nach der Sache mit Gisela, stand sie vor meiner Bude im Parkhaus. Sie war mir schon aufgefallen, als sie mit ihrem offenen roten Sportwagen hineingefahren war. Ihre Haare waren so rot wie ihr Wagen. Und ihre Haut war so weiß, wie man es Rothaarigen nun mal nachsagt. Sie hatte sehr viele, sehr lange Haare, die sich zu Korkenziehern drehten. Ich brütete gerade für ein germanistisches Hauptseminar über Heines Briefen aus Paris. Sie klopfte an die Scheibe, und ich fuhr hoch. Sie lächelte mich an und gab mir ihren Parkschein. Sie wollte mit einem Hunderter bezahlen, und mir war das Kleingeld knapp geworden.
    »Hätten Sie es nicht etwas kleiner?«
    »Nein, tut mir leid.«
    Ich sah in meine Kassenschublade. Ich hätte ihr so gerade noch rausgeben können, aber ich sagte: »Tut mir leid, ich kann nicht wechseln.«
    »Tja«, sagte sie. »Und was jetzt?« Sie lächelte.
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Wollen Sie jetzt von mir verlangen, irgendwo wechseln zu gehen?«
    »Sie könnten auch sagen ›Stimmt so!‹«
    »Man braucht wohl eine Menge Humor, um hier zu arbeiten, was?«
    »Es hilft.«
    Sie sah an mir vorbei auf den kleinen Tisch, auf dem meine Bücher lagen.
    »Ich vermute, Sie machen das nicht hauptberuflich.«
    »Nein, ich studiere.«
    »Aha. Und was?«
    Ich sagte es ihr. Dann wollte sie wissen, woran ich gerade arbeite. Ich sagte ihr auch das, und sie meinte, mit Heine könne sie nicht viel anfangen. Ich auch nicht, gab ich zurück, und sie sagte, das mache eine Arbeit über Heine doch sicher sehr schwierig, und ich sagte, ich sei dabei aufzuholen. Dann sah sie auf die Uhr und sagte, sie habe noch etwas Zeit, und ob ich ihr nicht einen Kaffee anbieten wolle. Sie nannte mir ihren Namen. Während ich Wasser in die alte, verkalkte Maschine goß, sagte ich, das sei ein sehr schöner Name.
    »Wie man’s nimmt«, sagte sie. »Es gibt eine Feuerlöschermarke, die genauso heißt.«
    »Haben Sie damit etwas zu tun?«
    »Nein, nein. Ich weiß nicht, wie meine Eltern auf den Namen kamen. Hört sich an wie eine Stripteasetänzerin.«
    Dann tranken wir Kaffee.
    »Ich muß doch wohl nicht hier sitzen bleiben, bis meine hundert Mark abgeparkt sind, oder?«
    »Nein, nein. Ich lasse Sie gleich einfach so raus.«
    »Ach, das geht?«
    »Ich mache das mit allen rothaarigen Frauen, die hier mit mir Kaffee trinken.«
    Sie bot mir das Du an. Ich nahm es.
    »Hast du eine Freundin?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Gut, dann laß uns heute abend zusammen was trinken gehen. Wann bist du hier fertig?«
    »Um sechs.«
    »Das ist zu früh. Wo wohnst du?« Ich sagte es ihr. »Soll ich dich um acht abholen?«
    »Heute?«
    »Hast du keine Zeit oder keine Lust?«
    »Heute ist Donnerstag, nicht wahr?«
    »Muß wohl. Gestern war Mittwoch. Und wenn sie nichts dran ändern, wird morgen wohl Freitag sein. Also um acht?«
    »Ja, sicher. Wieso nicht.«
    »Gut, bis heute abend.« Zwei Minuten später öffnete ich ihrem Sportwagen die Schranke, und sie winkte mir zu, als sie Gas gab.
    Als ich um kurz nach sechs nach Hause kam, stellte ich mich unter die Dusche und sorgte dafür, daß ich gut roch. Dann versuchte ich, ein wenig aufzuräumen. Aus der Wohnung war aber nicht viel zu machen. Um kurz nach acht klingelte es.
    Immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend, kam Gloria die Treppe heraufgehastet. »Hallo, laß mich deine Wohnung sehen!«
    Ich sagte »Hallo« und machte ihr Platz. Sie sah sich um, nahm die Papiere auf meinem Schreibtisch unter die Lupe, guckte in meinen Kleiderschrank und in den Kühlschrank, warf einen Blick auf Besteck und Geschirr, untersuchte auch noch das Badezimmer und sagte: »Du bist mehr fürs Einfache, was?«
    »Bin ich das?«
    »Naja, du gibst dir nicht gerade viel Mühe mit der Einrichtung.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Mir reicht es.«
    »Okay, wo sollen wir hingehen?«
    Ich sagte, das sei mir egal, und das war es auch. Sie trug Blue jeans und ein leichtes schwarzes Herrenjackett, die Ärmel bis zum Ellenbogen hochgekrempelt, und darunter ein rotes T-Shirt, das sich später als ärmelloses Top herausstellen sollte. Und ihr Haar hatte sie frisch gewaschen, denn es wirkte noch voller und noch roter als am

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