Life - Richards, K: Life - Life
wiedertreffe.
W ir waren komplett ausgebrannt. Ich glaube nicht, dass mir das damals klar war, aber in der Zeit hätten wir leicht auseinanderbrechen können - ein völlig natürliches Ende für eine Band mit zahlreichen Hits. Es passierte kurz nach Satanic Majesties , das meiner Ansicht nach sowieso ziemlicher Blödsinn war. Und hier kommt Jimmy Miller als unser neuer Produzent ins Spiel. Was für eine großartige Zusammenarbeit! Aus dem Nichts haben wir Beggars Banquet geschaffen und damit die Stones auf ein ganz anderes Niveau gehoben. In diesem Moment mussten wir richtig was aus uns rausholen. Und das haben wir auch getan.
Ich erinnere mich noch gut an unsere erste Begegnung mit Jimmy. Mick hatte dafür gesorgt, dass er zu uns stieß. Jimmy stammte ursprünglich aus Brooklyn und war im Westen aufgewachsen - sein Vater war Unterhaltungschef in mehreren Casino Hotels in
Las Vegas, dem Sahara, dem Dunes und dem Flamingo. Wir kreuzten in den Olympic Studios auf und sagten, wir machen jetzt mal einen Durchlauf und schauen, wie’s so läuft. Dann spielten wir einfach drauflos - irgendwas. Wir wollten an dem Tag gar nichts Bestimmtes aufnehmen. Wir testeten nur mal so den Raum aus, testeten Jimmy, und Jimmy testete uns. Ich würde gern noch mal dahin zurück und als unsichtbarer Beobachter dabei sein. Ich erinnere mich nur, dass ich bei ihm ein sehr, sehr gutes Gefühl hatte, als wir zwölf Stunden später die Session verließen. Ich spielte mein Ding, schlenderte rüber in den Kontrollraum, gleicher Ablauf wie immer, und hörte auf dem Playback tatsächlich, was im Studio vor sich ging. Manchmal klingt das, was man im Studio spielt, ganz anders als das, was man im Kontrollraum hört. Aber Jimmy hatte ein Gespür für den Raumklang, er hörte die ganze Band. Deshalb hatte ich von diesem ersten Tag an ein sehr intensives Verhältnis zu Jimmy. Er wusste durch seine vorherige Zusammenarbeit mit Typen aus England, wie er mit uns umgehen musste. Er hatte Sachen wie »I’m a Man« und »Gimme Some Lovin’« mit der Spencer Davis Group produziert; und er hatte mit Traffic und Blind Faith gearbeitet. Er hatte auch viel mit Schwarzen gemacht. Aber vor allem lag es daran, dass Jimmy Miller ein verdammt guter Drummer war. Er verstand was vom Groove. Bei »Happy« spielt er das Schlagzeug, und auf »You Can’t Always Get What You Want« spielte er ursprünglich auch. Er machte mir die Arbeit leicht, ließ mich den Groove und das Tempo vorgeben. Außerdem kamen Mick und Jimmy gut miteinander klar. Das flößte Mick genügend Vertrauen ein, ihm einfach zu folgen.
Unser Ding war der Chicago-Blues; da kam alles her, was wir konnten. Schaut euch doch mal den Mississippi an. Wo kommt der her? Wo führt er hin? Wer dem Fluss bis ganz nach oben folgt, landet unvermeidlich in Chicago. Und schau dir an, wie diese
Künstler damals aufgenommen wurden. Da gab es keine Regeln. Mit den üblichen Regeln für eine Aufnahme hatte das nichts zu tun, daran gemessen machten sie alles verkehrt. Aber was heißt schon richtig und falsch? Wichtig ist nur, wie es ins Ohr geht. Der Chicago-Blues war roh und derb und energetisch. So was klangrein aufzunehmen, kann man vergessen. Praktisch jede Platte mit Chicago-Blues, die man zu hören bekommt, ist enorm übersteuert, so dass alles richtig fett klingt. Auf den Platten von Little Walter bläst er dir die erste Note auf seiner Mundharmonika um die Ohren, und die Band verschwindet einfach im Hintergrund, bis die Note ausgeklungen ist, weil er dermaßen übersteuert. Im Studio versuchst du im Grunde immer, alles zu verzerren. Das ist die Freiheit, die man beim Aufnehmen hat, man kann mit dem Sound spielen. Und dabei geht es nicht einfach nur ums Dröhnen; es geht ums Experimentieren und Ausprobieren. Hey, tolles Mikro, aber wenn wir es ein bisschen näher zum Verstärker bringen und dann einen kleineren Verstärker nehmen als den großen da und das Mikro direkt davor platzieren und mit einem Handtuch umwickeln, mal sehen, wie das klingt. Es geht darum, die Sounds verschmelzen zu lassen, und im Hintergrund hast du diesen Beat. Der Rest muss sich einfach unterordnen und bis zum Schluss durchlaufen. Wenn man alles fein säuberlich voneinander trennt, wird es fad. Du suchst nach Kraft und Stärke, nicht nach Lautstärke, sondern nach einer inneren Stärke. Nach einer Möglichkeit, all das zusammenzubringen, was sämtliche Leute in dem Raum machen, und zu einem einzigen Sound zu formen.
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