Life - Richards, K: Life - Life
Mal in den Staaten war, habe ich viele großartige Typen kennengelernt, junge Burschen, deren Telefonnummern ich mit nach Hause nahm. Als ich zwei oder drei Jahre später wiederkam und anrief, steckten sie in Leichensäcken aus Vietnam. Viele sind, das wissen wir alle, einfach unter die Räder gekommen. Da hab ich kapiert, was los war. Da war dieser kleine Blondschopf, ein großartiger Gitarrist, mit dem wir jede Menge Spaß hatten. Und beim nächsten Mal war er nicht mehr da.
Der Sunset Strip in den Sechzigern,’64 oder’65 - für den Autoverkehr gesperrt. Der ganze Strip war voller Menschen, man lungerte auf der Straße herum, ließ sich mit dem Mob treiben. Ich weiß noch, dass ich Tommy James von den Shondells da getroffen habe. Sie schafften sechs goldene Schallplatten, bevor sie in der Versenkung verschwanden. »Crimson and Clover« ist ein Song, der mich noch immer umhaut. Ich wollte mit dem Wagen zum Whisky a Go-Go, und da stand er plötzlich. »Hey, Mann.« - »Und, wer bist du?« - »Tommy James, Mann.« Er verteilte Flugblätter gegen die Wehrpflicht. Anscheinend glaubte er, dass sie auch ihn bald einziehen würden. Das war während des Vietnamkriegs. Eine ganze Reihe von den Kids, die uns bei unserer ersten US-Tour gesehen hatten, kamen aus dem Krieg nicht mehr lebend zurück. Die haben die Stones im Mekong-Delta gehört.
Der Politik konnten auch wir nicht entkommen, ob wir wollten oder nicht, zum Beispiel, als wir dem sonderbaren Jean-Luc Godard begegneten, dem großen Innovator des französischen Films. Er war fasziniert von den Ereignissen, die sich’68 in London abspielten, und er wollte einen Film drehen, der komplett anders war als das, was er vorher gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er ein paar Substanzen zu sich genommen, von denen er besser die Finger hätte lassen sollen. Er wollte sich wohl in die passende Stimmung bringen, war das Zeug aber nicht gewohnt. Ich glaube, niemand kann ehrlicherweise von sich behaupten, er hätte ganz verstanden, was Godard eigentlich wollte. Der Film One Plus One zeigt uns bei der Studioarbeit und dokumentiert zufällig die Entstehung von »Sympathy for the Devil«. Der Song verwandelte sich durch eine Rhythmusänderung im Laufe mehrerer Takes von einem dylanesken, ziemlich pathetischen Folksong in einen rockenden Samba und damit von einem Flop in einen Hit - und Jean-Luc zeichnete jeden Schritt auf. Im Film kann man nach
den ersten Takes Jimmy Millers genervte Stimme hören. »Wo ist der Groove?« Es gab keinen. Bei der Besetzung gab es ein paar für uns ungewohnte Veränderungen. Ich spiele Bass, Bill spielt Maracas, und Charlie Watts ist tatsächlich einer der Wooo-Woooo -Backgroundsänger. Genau wie Anita und auch Marianne. So weit, so gut. Ich bin froh, dass er das festgehalten hat. Godard sah vielleicht aus, ich konnte es kaum glauben. Wie ein französischer Bankangestellter. Worauf zum Henker wollte er hinaus? Er hatte nicht mal den Ansatz eines schlüssigen Plans, außer dem, dass er aus Frankreich rauswollte, um etwas von der Londoner Szene mitzukriegen. Der Film an sich war kompletter Müll - die Jungfern auf dem Themsekahn, das Blut, die Szene mit den Schwarzen, alias Black Panthers, auf einem Schrottplatz in Battersea, wo einer dem andern tapsig sein Gewehr zuwirft. Bis dahin hatte Jean-Luc Godard ziemlich gute, fast hitchcocksche Filme abgeliefert. Wohlgemerkt, es war eines jener Jahre, als man alles zum Fliegen bringen konnte. Ob es dann auch tatsächlich abhob, war eine andere Sache. Ich meine, warum interessierte sich ausgerechnet Jean-Luc Godard für die kleine Hippie-Revolution in England und wollte sie dann auch noch in Kunst verwandeln? Ich glaube, dass ihm irgendwer ein bisschen Acid untergeschoben hat, und dass er so in dieses verlogene, ideologisch überdrehte Jahr reingerutscht ist.
Godard schaffte es immerhin, die Olympic Studios abzufackeln. Wir waren in Studio eins, einem großen Raum, der früher ein Kino gewesen war. Um ein diffuseres Licht zu erzeugen, hatte er die sehr heißen Deckenlampen mit Seidenpapier abgeklebt. Etwa nach der Hälfte der Sessions - ich glaube, es gibt noch ein paar Outtakes, auf denen man das sehen kann - fingen das Seidenpapier und die gesamte Decke in rasend schnellem Tempo Feuer. Wir kamen uns vor wie in der Hindenburg. Die Kabel brannten
durch, das Licht ging aus, Funken sprühten, und nach und nach krachten die Einzelteile der schweren Lichtanlage zu Boden. So viel zum Thema Sympathy for the fucking
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