Life - Richards, K: Life - Life
selbst Hand anlegen. Und man musste genau sein. Selbst in so geringer Konzentration war das Zeug extrem intensiv. Ich setzte mich mit der Waage ins Badezimmer. Siebenundneunzig zu drei … Wenn es ans Wiegen ging, war ich ziemlich penibel.
Musste ich auch sein, immerhin belieferte ich Anita und noch ein paar andere. Schon bei sechsundneunzig zu vier kann man verrecken. Und eine Dosis purer Stoff - boom und tschüss!
In großen Mengen einzukaufen hatte eine Reihe Vorteile. Es war zunächst einmal günstiger. Der Stoff kam direkt aus Marseille nach Villefranche. Kein weiter Weg, keine Transportkosten außer Jacques’ Zugticket. Außerdem hielt es eine Weile vor. Je öfter man neues Zeug rankarren muss, desto mehr kann schiefgehen. Natürlich darf man es nicht übertreiben. Wer zu viel auf einmal besorgt, erregt unerwünschte Aufmerksamkeit. Also immer nur so viel, dass es für ein paar Monate reicht. Damit man nicht ständig auf die Suche gehen muss.
Aber dieser Beutel schien überhaupt keinen Boden zu haben. »Okay, wenn das Zeug alle ist, kommen wir wieder runter.« Was soll ich sagen? Der Beutel reichte von Juni bis November, und selbst dann war noch was übrig.
Was das Mischverhältnis anging, musste ich Jacques blind vertrauen. Offenbar hatte er keinen Scheiß erzählt, denn es klappte wunderbar. Niemand beschwerte sich. Zur Erinnerung befestigte ich die Formel an der Wand: 97:3. (Natürlich dachte ich mir, das würde einen guten Songtitel abgeben, aber man muss seine Privatangelegenheiten ja nicht unnötig rausposaunen.) Ganze Nachmittage verbrachte ich damit, den Stoff im richtigen Verhältnis zu mischen. Vor mir eine prächtige altertümliche und sehr, sehr genaue Messingwaage, daneben ein großer Löffel für die Laktose. Siebenundneunzig Gramm, die ich erst mal am Rand deponierte. Dann eine winzige Prise aus dem Heroinbeutel, genau drei Gramm. Beides vermischen, und zwar ordentlich, richtig schütteln. Ich erinnere mich, dass ich ziemlich oft da oben im Bad war, also kann ich immer nur kleine Mengen verschnitten haben. Gerade so viel, dass es für ein paar Tage oder ein bisschen länger reichte.
Wir schauten uns ein paar Studios in und um Cannes an und rechneten aus, wie viel Geld uns die Franzosen dafür abluchsen würden. Nellcôte verfügte über einen geräumigen Keller, und unser eigenes mobiles Studio, das Mighty Mobile, stand auch bereit. Das Mighty Mobile war ein Laster mit ein paar Achtspurgeräten, den wir mit Stus Hilfe zusammengebaut hatten - völlig unabhängig von unseren Plänen, nach Frankreich auszuwandern. Das einzige private mobile Studio in der Gegend. Wir hatten ja keine Ahnung, was für eine Goldgrube wir damit erschaffen hatten. Bald vermieteten wir es an BBC und ITV, die jeweils nur eine mobile Aufnahmeeinheit hatten. Es war einer dieser schöner, glücklichen Zufälle, wie so vieles in der Geschichte der Stones.
Im Juni steuerten wir das Mighty Mobile durch die Tore von Nellcôte, parkten vor der Haustür und stöpselten ein. Seitdem arbeite ich nur noch so. Mit der richtigen Ausrüstung und den richtigen Kollegen brauchst du kein großartiges Studio. Mick ist der Einzige, der immer noch glaubt, eine richtige Platte könnte man nur in einem richtigen Studio machen. Mit unserem bislang letzten Album A Bigger Bang haben wir ihn wieder mal eines Besseren belehrt. A Bigger Bang wurde komplett in einem französischen Schlösschen aufgenommen. Als wir alles beieinanderhatten, meinte er: »Okay, jetzt gehen wir in ein richtiges Studio.« Don Was und ich tauschten einen vielsagenden Blick aus, auch Charlie schaute mich an. Scheiß drauf! Hier klappt es doch wunderbar. Warum sollen wir so viel Kohle auf den Kopf hauen? Damit wir sagen können, die Platte wäre im XYZ-Studio aufgenommen worden? Wegen der hübschen Glasscheibe? Wegen des Regieraums? Vergiss es, wir bleiben hier. Da musste er irgendwann nachgeben.
Der Keller meiner Villa war groß, aber in einzelne Räume unterteilt, und die Belüftung ließ sehr zu wünschen übrig - daher der
»Ventilation Blues«. Sehr lustig gestaltete sich die ständige Suche nach dem Saxofonisten. Wo war der schon wieder abgeblieben? Bobby Keys und Jim Price wechselten dauernd den Standort, immer auf der Suche nach dem richtigen Sound. Meistens standen sie mit dem Rücken zur Wand irgendwo ganz hinten in einem engen Flur. Dominique Tarlé hat das auf einem seiner Fotos eingefangen, auf dem sich die Mikrofonkabel um die Ecke aus dem Bild schlängeln.
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