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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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richtiggehend bescheuert. Aber er war zuverlässig, zuverlässig von vorne bis hinten wie kein Zweiter. Damals war ich ja selbst bescheuert und völlig
überdreht. Ich trieb ihn dazu, sich noch unmöglicher aufzuführen, als er eigentlich wollte. Das war nicht nett, aber ich wusste ganz einfach: Der Typ ist was Besonderes. Dem ist alles egal. Seiner Meinung nach war er nämlich mit fünfzehn gestorben. »Ich bin eh schon tot, egal, ob ich noch lebe oder nicht. Was jetzt noch kommt, ist nur das Sahnehäubchen, selbst wenn es wie Scheiße aussieht. Also, versuchen wir doch, die Scheiße in Sahne zu verwandeln.« So konnte man Freddies Grundeinstellung kurz zusammenfassen: »Fuck it!« Mit fünfzehn hatte er mitansehen müssen, wie sein Großvater, den er über alles verehrte, und sein Onkel bei helllichtem Tage auf dem Hauptplatz seiner Heimatstadt von zwei Nazi-Offizieren gefoltert und erschossen wurden - während er sich an seine zitternde Großmutter klammerte. Seinen Großvater hatte es getroffen, weil er der jüdischen Gemeinde vorstand. Kurz darauf wurde Freddie abgeführt. Es war das letzte Mal, dass er ein Mitglied von dem Teil seiner Familie sah, der damals in Polen lebte. Sie kamen alle ins Lager.
    Freddie hat ein Manuskript mit biografischen Aufzeichnungen hinterlassen, das er mir gewidmet hat - was mir in gewisser Weise peinlich ist, denn er hat es außerdem Jakub Goldstein gewidmet, seinem ermordeten Großvater. Es ist eine grausame Geschichte, der faszinierende Bericht eines Überlebenden, thematisch nah an Pasternak. Man erfährt, wie er zu dem Mann wurde, der mir bald so vertraut war. Freddies Erzählung beginnt 1939 in Krakau, mit einer wohlhabenden, jüdischen Mittelklassefamilie, die aufs Land in ihr Sommerhaus fährt. Von den Ställen und Scheunen, von den Räucherkammern und gemähten Wiesen berichtet er, und von der Roma-Frau, die übers Mohnblumenfeld gelaufen kommt und verspricht, ihnen die Zukunft vorauszusagen - sie müssten ihr nur eine Silbermünze in die Hand legen. Daraufhin prophezeit sie der gesamten Familie den Untergang, bis auf exakt drei Ausnahmen,
von denen zwei außerhalb von Polen leben. Die dritte ist Freddie; ihm sagt sie voraus, er werde in den Osten gehen, nach Sibirien.
    Im September 1939 kamen die Deutschen. Freddie wurde in ein hastig improvisiertes Arbeitslager gebracht, aus dem er jedoch bald flüchten konnte. Mehrere Wochen versteckte er sich in den vereisten Wäldern und lief nur nachts weiter, stahl von Bauernhöfen und arbeitete sich immer weiter nach Osten vor, in den von Russland besetzten Teil Polens. Nachts, im Kugelhagel, überquerte er einen zugefrorenen Fluss und lief der Roten Armee in die Arme. Das war noch zu Zeiten des Hitler-Stalin-Pakts, aber die Russen waren ihm immer noch lieber als die Deutschen. Freddie landete in einem sibirischen Gulag, genau wie von der Wahrsagerin prophezeit.
    Damals war er gerade mal sechzehn Jahre alt. Seine Geschichte erinnert an Candide - unerbittliches Leid und Verzweiflung. Zum Beispiel die Beschreibung der Zustände in Sibirien, die Freddie überlebt hat. Noch Jahre später wachte er schreiend auf, wenn er davon träumte.
    Als die Deutschen in Russland einmarschierten, wurden Freddie und die paar anderen Polen, die wie er durchgehalten hatten, freigelassen. Mit Tausenden Überlebenden aus benachbarten Lagern wanderte er zum nächsten Bahnhof, weit über hundert Kilometer. Nur dreihundert erreichten ihr Ziel. In Taschkent trat er ins polnische Heer ein, steckte sich mit Typhus an, wurde entlassen und trat 1942 in die polnische Marine ein. Er musste das Radar beobachten, stundenlang, der Schiffsarzt machte ihn unterdessen mit pharmazeutischem Kokain bekannt. Von da an ging es langsam bergauf.
    Siegi, Freddies Bruder und der einzige weitere Überlebende einer neunköpfigen Familie, studierte an der Sorbonne, als die Deutschen
in Polen einfielen. Auch er trat in die polnische Armee ein und schaffte es nach London, wo Freddie nach Kriegsende zu ihm stieß. Siegi kam bald groß raus, als Club- und Restaurantbesitzer und Miteigentümer des Les Ambassadeurs. Letzteres wurde zum Stammlokal von Vier-Sterne-Generälen und Hollywoodstars, die zur Unterhaltung der Truppen abgestellt waren. 1950 eröffnete er Siegi’s Club in der Charles Street in Mayfair; zu diesem Zeitpunkt war er schon mit Frank Sinatra, Ronald Reagan, Bing Crosby und Co. befreundet. Prinzessin Margaret, der Aga Khan und andere gingen bei ihm ein und aus. Damit

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