Life - Richards, K: Life - Life
der Arsch nach Tanzlehrerorder wackelt. Mick hatte auch angefangen, Gesangsstunden zu nehmen. Vielleicht aber auch nur, um sich seine Stimme zu bewahren.
Wenn wir uns ein paar Monate nicht gesehen hatten, fiel mir oft auf, dass Micks Musikgeschmack sich ziemlich radikal verändert hatte. Er wollte mich vom neuesten Hit überzeugen, den er in irgendeiner Disco gehört hatte. Aber Kumpel, den hat doch schon jemand aufgenommen. Als wir 1983 an Undercover arbeiteten, wollte er beweisen, dass er einen besseren Disco-Song als jeder andere produzieren könnte. Für mich klang das alles wie der Aufguss von irgendwelchem Zeug, das er am Abend zuvor in der Disco gehört hatte. Schon fünf Jahre früher hatten wir auf Some Girls mit
»Miss You« einen der besten Disco-Songs aller Zeiten rausgebracht. Aber Mick jagte der musikalischen Mode hinterher. Ich hatte jede Menge Ärger mit ihm, weil er dem Geschmack des Publikums auf die Spur kommen wollte. Das ist genau das, was die Leute dieses Jahr hören wollen. Schon klar, Kumpel, und was ist nächstes Jahr? So bist du nur einer von vielen. Außerdem war das nie unsere Arbeitsweise. Lass uns unser Ding einfach so machen, wie wir es immer gemacht haben. Gefällt es uns? Hält es unseren Maßstäben stand? Der Punkt war doch: Mick und ich hatten unseren ersten Song in einer Küche geschrieben. Größer war die Welt nicht. Wenn wir darüber nachgedacht hätten, wie die Öffentlichkeit das aufnimmt, hätten wir nie eine Schallpatte rausgebracht. Alle Leadsänger lassen sich in diesen Wettstreit reinziehen, deshalb verstehe ich Micks Problem: Was macht Rod, was macht Elton, was David Bowie, was kommt von dem als Nächstes?
Auf diese Weise hatte er die Mentalität eines musikalischen Schwamms entwickelt. Er hörte was in einem Club, und eine Woche später glaubte er, er hätte es selbst geschrieben. Und ich sagte: Nein, das ist von vorne bis hinten geklaut. Solche Sachen musste ich ihm erst erklären. Und ich spielte ihm neue Songs oder Ideen von mir vor. Er sagt: Klingt gut; basteln wir noch ein bisschen dran rum und legen es erst mal zur Seite. Eine Woche später kommt er mit demselben Zeug an und sagt: Hör dir das mal an, das hab ich gerade geschrieben. Alles ohne böse Absicht. So blöd ist er nicht, er weiß es nicht besser. Als Komponisten für »Anybody Seen My Baby?« sind auch K.D. Lang und ein Co-Autor aufgeführt. Warum? Meine Tochter Angela und ihr Freund waren in Redlands. Als ich ihnen unsere Platte vorspielte, fingen sie an, einen völlig anderen Text dazu zu singen, nämlich K.D. Langs »Constant Craving«. Angela und ihr Freund haben die Ähnlichkeit sofort bemerkt. Unser Album sollte in einer Woche auf den Markt
kommen. Scheiße, er hatte wieder geklaut. Ich glaube wirklich nicht, dass er das jemals mit Vorsatz getan hat - er ist ganz einfach wie ein Schwamm. Mir blieb nichts anderes übrig, als Rupert und unsere anderen Topanwälte anzurufen. Ich sagte, überprüft das sofort, sonst haben wir eine Klage am Hals. Keine vierundzwanzig Stunden später bekam ich die Antwort: Es stimmte. Wir mussten K.D. Lang als Autorin aufführen.
Früher hing ich gern mit Mick rum, aber ich glaube, ich war schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in seiner Garderobe. Manchmal vermisse ich meinen Freund. Wo zum Teufel ist er hin? Ich weiß, dass er sofort für mich da wäre, wenn ich wirklich in der Scheiße stecke, garantiert, genauso wie ich für ihn, das steht völlig außer Frage. Doch Mick hat sich im Laufe der Jahre immer mehr abgeschottet. In gewisser Weise kann ich das sogar verstehen. Ich versuche das zwar zu vermeiden, aber trotzdem ist es oft unerlässlich, dass man sich vor äußeren Einflüssen schützt. Wenn ich in den vergangenen Jahren ein Interview mit Mick gesehen habe, hatte ich immer das Gefühl, dass er sich dauernd die Frage stellt: Was wollen die von mir? Seine Freundlichkeit war defensiv. Tja, was wollen sie von dir? Sie wollen Antworten auf ein paar Fragen, logisch. Aber woher kam seine Ängstlichkeit, etwas preiszugeben? Oder liegt es daran, dass er etwas umsonst preisgeben soll? Man kann sich leicht vorstellen, dass in Micks besten Tagen jeder was von ihm wollte. Das war natürlich schwierig für ihn. Also bedachte er allmählich jeden mit dieser Abwehrhaltung. Nicht nur Fremde, auch seine besten Freunde. Bis der Punkt erreicht war, dass ich irgendwas zu ihm sagte und in seinen Augen die Frage lesen konnte: Welchen Vorteil zieht Keith daraus? Ich zog
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