Life - Richards, K: Life - Life
angesichts der vielen Unglücksfälle, Höhen und Tiefen oder Verhaftungen sogar eine absolut einmalige Gelegenheit für ein paar Aufnahmen. Aus irgendeinem Grund hatte Fraboni ein paar Aufnahmegeräte vom jamaikanischen Kulturminister
gestellt bekommen, und jetzt wollte er natürlich sofort loslegen. Und das war ein Geschenk des Himmels.
Rob Fraboni ist ein Genie, wenn es gilt, Aufnahmen unter ungewöhnlichen Bedingungen zu machen. Er verfügt über die außerordentliche Fähigkeit, noch an den abwegigsten Orten hervorragende Aufnahmen zu zaubern. Er war Produzent bei The Last Waltz , er hat das ganze Bob-Marley-Zeug remastert. Rob ist einer der besten Tontechniker überhaupt. Er lebt in Connecticut gleich bei mir um die Ecke. Deshalb arbeiteten wir oft zusammen in meinem Studio, doch davon später mehr. Wie alle Genies kann Rob eine unglaubliche Nervensäge sein, aber das gehört nun mal dazu.
Ich taufte die Gruppe auf den Namen Wingless Angels, nach einer kleinen Zeichnung, die ich irgendwann hingekritzelt hatte, eine Art fliegender Rasta. Ich hatte das Blatt herumliegen lassen, und als irgendwer wissen wollte, was das sein sollte, meinte ich spontan: »Das ist ein Engel ohne Flügel.« Die Kritzelei hat es sogar aufs Plattencover geschafft.
Die Wingless Angels erhielten Zuwachs in Form der Sängerin Maureen Fremantle. Eine extrem starke Stimme, vor allem eine weibliche Stimme, eine große Seltenheit in der Rasta-Tradition. Lassen wir Maureen selbst erzählen, wie wir damals zusammenkamen:
Maureen Freemantle: An einem Abend waren Keith und Locksie gemeinsam in der Mango Tree Bar in Steer Town. Ich gehe vorbei, und Locksie sagt: Komm rein, Schwester Maureen, komm rein und trink was. Also geh ich rein und lerne diesen Typen kennen. Keith umarmt mich und sagt: »Diese Schwester sieht aus wie eine richtige Schwester.« Und wir trinken was, ich bestelle Rum mit Milch. Und dann … ich weiß nicht, vielleicht war das die Macht von Jah . Ich fange
an zu singen, ich fange einfach an zu singen. Und Keith sagt: »Die Lady muss bei mir vorbeischauen.« Ab da gab es kein Zurück mehr. Ich fing einfach an zu singen. Wie besoffen. Ich sang von Liebe, Frieden, Freude, Glück, und plötzlich war alles eins. Das war etwas ganz Besonderes.
Sogar im Garten stellte Fraboni ein Mikro auf, und deshalb hört man am Anfang der Platte Grillen und Frösche und das Meer hinter der Veranda. Das Haus hat keine Fensterscheiben, nur hölzerne Fensterläden. Man hört, wie im Hintergrund Domino gespielt wird, man spürt die Atmosphäre, und darauf kommt es an. Zurück in den USA überlegten wir, wie wir diesen Vibe der Aufnahmen bewahren konnten. Damals lernte ich Blondie Chaplin kennen; er kam mit George Recile, der später für Bob Dylan trommelte, zu den Sessions. George stammt aus New Orleans und hat viele Wurzeln: Er ist Italiener, Schwarzer, Kreole, alles auf einmal. Aber am erstaunlichsten sind seine blauen Augen. Mit diesen blauen Augen kann er sich alles erlauben. Zum Beispiel, auf die andere Seite der Gleise zu wechseln.
Ich wollte den Angels einen internationaleren Touch geben, und bald tauchten Leute aus aller Herren Länder bei den Overdubbing-Sessions in Connecticut auf. Frank Gavin, ein unglaublicher Geiger und Gründer der irischen Folkgruppe De Dannan, brachte seinen großartigen irischen Humor mit, was der Platte ein ganz eigenes Gefühl verlieh. Es war von vornherein klar, dass es keine Platte mit größerem kommerziellen Potenzial war, aber sie musste einfach gemacht werden, und ich bin sehr stolz darauf, bis heute. So stolz, dass derzeit ein Nachfolger in Arbeit ist.
Kurz nach Exile kam auf einmal so viel Technologie ins Spiel, dass nicht mal der gewiefteste Tontechniker der Welt wusste, was eigentlich
Sache war. Früher in der Denmark Street hatten die Drums mit einem einzigen Mikro genial geklungen, und jetzt, mit fünfzehn Mikros, klangen sie, als würde jemand auf ein Blechdach scheißen. Wie war das möglich? Alle haben sich in den technischen Möglichkeiten verrannt, und sie finden erst langsam wieder zurück. In der klassischen Musik wird heute alles neu eingespielt, was in den Achtzigern und Neunzigern digital aufgenommen wurde. Das Zeug von damals bringt’s einfach nicht. Ich habe Technologie immer als störend empfunden, ich dachte mir immer: Dagegen muss man sich wehren. Der übertriebene Einsatz von Technik zieht alles endlos in die Länge. Fraboni hat das alles hinter sich, er dachte früher auch mal,
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