Life - Richards, K: Life - Life
wenn man nicht gleich fünfzehn Mikros auf ein Schlagzeug richtet, hätte man keine Ahnung. Den Bassisten schirmte man hermetisch ab, bis irgendwann alle in ihren Kabäuschen und Kämmerchen saßen, mitten in einem riesigen Studio, das man eigentlich überhaupt nicht richtig nutzte. Diese Abtrennung ist das absolute Gegenteil von Rock’n’Roll. Rock’n’Roll, das ist ein Haufen Jungs in einem Raum, die einen eigenständigen Sound erzeugen und aufnehmen. Und diesen Sound erzeugen sie zusammen , nicht getrennt. Stereo, Hightech, Dolby, das ist alles Schwachsinn, Mythen, die der eigentlichen Musik vollkommen zuwiderlaufen.
Aber keiner hatte die Eier, dagegen anzugehen. Ich fragte mich: Wie komme ich eigentlich dazu, so viel Gerät aufzufahren? Früher standen dieselben Typen mit drei Mikros in einem Raum - und machten Platten! Statt einzeln jedes Fitzelchen von den Drums oder dem Bass aufzunehmen, stellten sie einfach ein Mikro in den Raum und drückten auf Aufnahme. Wenn man aber alles auseinanderreißt, geht etwas Undefinierbares verloren - Spirit, Stimmung, Seele, man kann es nennen, wie man will. Für so was gibt es kein Mikrofon. Hätten wir das früher kapiert, hätten wir in den
Achtzigern viel bessere Platten aufnehmen können. Aber nein, wir mussten uns von der Technik verarschen lassen.
Das Studio im Keller meines Hauses in Connecticut, der »Room Called L«, weil er L-förmig ist, geht auf Rob Frabonis Konto. Während meines freien Jahres 2000/2001 installierten wir das Studio gemeinsam. Die Mikros richteten wir nicht auf die Instrumente oder Verstärker, sondern auf die Wand. Wir wollten einfangen, was von Decke und Wänden abstrahlt, statt die einzelnen Instrumente auseinanderzudividieren. Eigentlich brauchst du gar kein Studio - du brauchst einen Raum. Die Kunst besteht darin, die Mikros an den richtigen Stellen zu platzieren. Wir schafften einen großartigen Acht-Spur-Rekorder von Stephens an, eines der schlichtweg besten Aufnahmegeräte überhaupt, das aussieht wie der Monolith aus Kubricks 2001 .
Das »L« hat bisher nur einen veröffentlichten Track hervorgebracht: »You Win Again« für das Grammy-gekrönte Hank-Williams-Tribute-Album Timeless . Lou Pallo, der viele Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte, als zweiter Gitarrist für Les Paul gespielt hat, ist an der Gitarre zu hören. Was für ein Gitarrist! Lou, der »Mann der Millionen Akkorde«. Er lebt in New Jersey. »Wo genau, Lou?« - »In der Moneymaker Road. Aber der Name täuscht.« An den Drums saß George Recile, und damit hatten wir den Grundstein für eine Hausband gelegt. Jeder, der gerade in der Gegend war, durfte mitmischen. Howlin’ Wolfs Gitarrist Hubert Sumlin kam vorbei; später machte Fraboni ein hervorragendes Album mit ihm, About Them Shoes - toller Titel, was? Am 11. September 2001 war ich mit meiner alten Flamme Ronnie Spector im Room Called L. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, mussten wir damals unsere Aufnahme zu »Love Affair« abbrechen.
Wenn man immer nur mit den Stones arbeitet, verschwindet man irgendwann in einer Blase. Selbst mit den Winos kann das
passieren, und deshalb ist es mir extrem wichtig, auch mal was anderes zu machen. Ich fand es sehr anregend, mit Norah Jones, Jack White oder Toots Hibbert zu arbeiten; mit Letzterem habe ich zwei oder drei Versionen von »Pressure Drop« aufgenommen. Ab und zu musst du mit anderen spielen, sonst sitzt du irgendwann in deinem eigenen Käfig fest. Und wenn du dann so auf deiner Stange hockst, wirst du schnell mal weggeweht.
Mit Tom Waits habe ich schon Mitte der Achtziger zusammengearbeitet. Erst später ist mir klargeworden, dass er noch nie zuvor mit irgendwem anders Songs geschrieben hatte als mit seiner Frau Kathleen. Tom ist ein einzigartig liebenswerter Kerl und einer der originellsten Songwriter überhaupt. Mit dem würde ich gerne mal was machen, hatte ich mir schon immer gedacht. Aber hören wir uns lieber ein bisschen Lobhudelei von seiner Seite an. Er hat seine Erinnerungen in wunderschöne Worte gefasst.
Tom Waits: Es war während der Arbeit an Rain Dogs , ich lebte gerade in New York. Jemand fragte, ob ich irgendwen auf der Platte dabeihaben wollte. Wie wär’s mit Keith Richards, sagte ich - ein Scherz. Genauso gut hätte ich sagen können, wie wär’s mit Count Basie oder Duke Ellington. Ich war damals auf Island Records, und Chris Blackwell kannte Keith aus Jamaika. Also hängte sich jemand ans Telefon, während ich noch brüllte: »Nein,
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