Life - Richards, K: Life - Life
»Ich suche meine verdammten Frühlingszwiebeln«, antwortete Keith, der gerade wie von Sinnen im Müll wühlte. Und als ich aufblickte, war es wie bei diesen Unfallszenen in Zeitlupe, wenn man sich denkt: Neeeeeiiiiin, tu’s nicht! Tu’s nicht! Der Typ hatte sich die Frühlingszwiebeln hinter die Ohren gesteckt. Warum? Warum tut man so was? Klar, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber das ging voll nach hinten los. Denn Keith schaute auf, entdeckte die Frühlingszwiebeln - und explodierte. Über dem Kamin hat er ein Paar Säbel hängen, und die schnappte er sich jetzt, alle beide, und verfolgte den Jungen raus in die Dunkelheit. Um Himmels willen, er bringt ihn um! Patti machte sich ernsthaft Sorgen, also sind wir alle hinterher. Keith! Keith! Irgendwann tauchte er wieder auf, immer noch fuchsteufelswild. Der Dieb versteckte sich den Großteil der Nacht im Unterholz und kam dann später mit einer Sturmhaube zurück, um nicht von Keith erkannt zu werden.
Bei meinem Beruf sollte man gar nicht glauben, dass ich seit 1964 Hunde besitze. Zum Beispiel Syphilis, eine große Wolfshündin;
das war noch vor Marlons Geburt. Oder Ratbag, den ich in der Tasche aus Amerika rausgeschmuggelt habe. Ratbag hat die Schnauze gehalten, und ich lieferte ihn bei Doris ab, wo er noch viele Jahre lebte. Manchmal bin ich monatelang unterwegs, aber wenn man die Tiere schon als Welpen kannte, bleibt die Bindung für immer bestehen. Heute besitze ich mehrere Rudel, die sich jedoch nicht kennen, da sie zu weit entfernt voneinander leben. Aber ich glaube, sie können sich gegenseitig an meinen Klamotten riechen. In harten Zeiten kann ich mich auf meine Hunde verlassen, das weiß ich. Ich führe lange Gespräche mit ihnen, denn sie sind tolle Zuhörer. Wahrscheinlich würde ich für einen meiner Hunde sterben.
Zu Hause in Connecticut halten wir uns eine ganze Hundeversammlung: ein alter Golden Labrador namens Pumpkin, mit dem ich auf den Turks- und Caicos-Inseln schwimmen gehe, und zwei junge französische Bulldogen. Eine von den beiden hatte sich Alexandra als Welpe zugelegt und zu Etta James’ Ehren auf den Namen Etta getauft. Patti verliebte sich in Etta, deshalb kauften wir auch noch ihre Schwester, die ursprünglich im Käfig der Tierhandlung zurückgeblieben war. Wir nannten sie Sugar, nach »Sugar on the Floor«, einer der besten Platten von Etta James. Dann ist da noch Raz, eigentlich Rasputin. Raz ist eine echte Berühmtheit, zumindest in Stones-Kreisen. Ein unglaublich liebenswürdiger, charismatischer kleiner Köter - und ich weiß, wovon ich rede. Seine Vergangenheit liegt ziemlich im Dunkeln, typisch Russe eben. Nach allem, was man weiß, durchwühlte er in Gesellschaft von drei- bis vierhundert anderen Streunern die Mülltonnen hinter dem Moskauer Dynamo-Stadion, als wir 1998 durch Russland tourten. Mit der Wirtschaft des Landes ging es steil bergab, in der ganzen Stadt wurden Hunde ausgesetzt. Was für ein Hundeleben! Jedenfalls fiel Raz während der Bühnenarbeiten den Gerüstbauern
und der restlichen Crew auf. Die Jungs nahmen ihn auf, und schon bald war er zu einer Art Maskottchen geworden. Er arbeitete sich hoch, von der Crew in die Küche und weiter in die Garderoben und zu den Make-up-Artists. Er war kein schöner Anblick, da er täglich um sein Essen hatte kämpfen müssen (das Gefühl kenne ich), doch er rührte noch die härtesten Herzen.
Als die Stones zum Soundcheck eintrafen, wurde ich von Chrissy Kingston angesprochen, einer Mitarbeiterin aus der Garderobe. Chrissy schwärmte mir irgendwas von einem unglaublichen Mischling vor. Die Crew hätte gesehen, wie er Schläge und Tritte wegsteckte. Er ließ sich nicht unterkriegen, er hatte unglaublichen Mumm, und dafür bewunderten sie ihn. Sie hatten ihn aufgenommen. »Den musst du dir unbedingt anschauen«, sagte Chrissy. Das war mitten in den Vorbereitungen zu unserem ersten Gig in Russland, mit Hunden hatte ich jetzt wirklich nichts am Hut. Aber ich kannte Chrissy, und irgendwas an ihrem Verhalten ließ mich aufhorchen; dieses Viech schien ihr wirklich wichtig zu sein, sie hatte sogar Tränen in den Augen. Ich dachte mir: Hey, wir sind alle Profis, ich sollte sie ernst nehmen, auf Chrissy ist Verlass. Theo und Alex waren auch dabei, und natürlich kam sofort das unvermeidliche »Bitte, bitte, Papa, guck ihn dir an, bitte!« Das erweichte sogar das Herz dieses alten Hundes. Ich spürte, das ist eine Falle, aber ich konnte mich nicht wehren. »Okay, bringt ihn rein.«
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