Life - Richards, K: Life - Life
könnte sich mehr anstrengen. Irgendwo trieb ich dieselbe Tinte auf, und bald stand da: Er könnte sich nicht mehr anstrengen. Auf zu meinem Dad. »›Er könnte sich nicht mehr anstrengen.‹ Und warum bekommst du dann eine B-?« Das war ziemlich hoch gepokert, aber die Fälschungen flogen nie auf. Obwohl ich fast darauf hoffte, denn dann wäre ich frei gewesen, der Schule verwiesen wegen Urkundenfälschung. Offensichtlich war ich zu gut. Oder sie dachten sich: So nicht, mein Junge, so nicht!
Seit meinem Rauswurf aus dem Chor interessierte mich der Unterricht einen Dreck. Technisches Zeichnen, Physik, Mathematik, alles zum Gähnen. Sie konnten sich reinhängen, wie sie wollten, ich kapiere Algebra einfach nicht, klar? Warum sollte ich auch? Hätte mir jemand eine Pistole an den Kopf gehalten, hätte ich’s wohl kapiert. Wenn sie mich bei Wasser und Brot gehalten oder mit der
Peitsche traktiert hätten, hätte ich’s wohl lernen können, aber irgendwie sagte ich mir die ganze Zeit: Dieser Kram wird dir null bringen, und wenn du was lernen willst , lernst du’s ganz von selbst. Nach dem Stimmbruch und dem Rausschmiss aus der Jahrgangsstufe hing ich eine Zeit lang mit Spike und Terry herum, meinen alten Kollegen vom Chor. Wir hatten eine große Gemeinsamkeit - unsere maßlose Verbitterung. Wir hatten die schönen Medaillen und Plaketten errungen, die sie in ihrer Aula präsentierten, wir hatten ihnen die verdammten Schuhe geputzt. Und das sollte der Dank sein?
Auch äußerlich ließ ich den Rebellen raushängen. Leonards auf der Hauptstraße hatte schon spottbillige Jeans im Angebot, als es praktisch noch keine Jeans gab. Und um 1956,’57 herum verkauften sie dort fluoreszierende Socken - echte Rock’n’Roll-Socken, die im Dunkeln leuchten, damit deine Lady immer weiß, wo man sich gerade aufhält. Die Dinger waren in zwei Farben zu haben, pink oder grün, jeweils mit schwarzen Musiknoten drauf. Ich hatte von beiden ein Paar. Und weil ich besonders mutig war, trug ich an einem Fuß pink und am anderen grün. Das hatte wirklich Stil.
Dann gab es das Dimashio’s, eine Kombination aus Eisdiele und Café. Der Sohn des alten Dimashio ging mit uns zur Schule. Ein großer, fetter italienischer Junge, aber er fand leicht Freunde, weil er sie immer ins elterliche Lokal mitnahm. Dort stand eine Jukebox, und damit war das Dimashio’s geadelt. Die Box hatte Jerry Lee Lewis und Little Richard im Programm, sonst nur Mist. Kein anderer Ort in Dartford versprühte ein vergleichbares amerikanisches Flair. Bloß dieser kleine Ladenraum mit einer Theke auf der linken Seite, der Jukebox, ein paar Tischen und Stühlen und der Eismaschine.
Mindestens einmal die Woche ging ich ins Kino, meistens in die Vorstellung am Samstagvormittag und entweder ins Gem oder ins
Granada. Da liefen dann Sachen wie Captain Marvel . SHAZAM! Wenn man den richtigen Ton traf, funktionierte es dann vielleicht wirklich? Also stand ich mit meinen Kumpels auf der Wiese und rief: »SHAZAM! Nein, anders, wir müssen es anders sagen!« Die anderen Typen lachten uns aus, aber wir blieben cool. »Abwarten. Wenn wir es hinkriegen, vergeht euch das Lachen! SHAZAM!« Oder Flash Gordon mit den kleinen Rauchwölkchen und dem wasserstoffblonden Haar. Oder eben Captain Marvel. An die Handlung konnte man sich hinterher fast nie erinnern. Eigentlich ging es nur um die Verwandlung, um einen ganz normalen Typen, der ein einziges Wort sagt und zack, weg ist er. »Das will ich auch können«, dachte man sich. »Ich muss hier weg.«
Wir wurden größer, wir wurden ein bisschen kräftiger, und mit der Zeit markierten wir öfter mal den starken Mann. Die Dartford Tech hatte einen wirklich lächerlichen Tick: Sie wollte unbedingt eine Privatschule alten Stils sein. An den Mützen der Vertrauensschüler hingen goldene Troddeln, und selbstverständlich gab es ein East House und ein West House. Man sehnte sich zurück in eine vergangene Welt, in eine Welt, in der es keinen Krieg gegeben hatte, in der sich das Leben immer noch um Cricket, Pokale und Ehrungen drehte. Die Glorifizierung des braven Schuljungen. Die Lehrer waren unter aller Kanone, hatten aber irgendein unerreichbares Ideal vor Augen. Als wären wir hier in Eton oder Winchester und nicht in Dartford. Als befänden wir uns in den Zwanzigern, Dreißigern oder am besten in den 1890ern.
Doch kurz nach der Katastrophe, mitten in meiner Zeit an der Dartford Tech, wurde diese Wohlerzogenheit von einer anarchischen Phase
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