Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
Vom Netzwerk:
hervorragender Sänger. Aber im Vergleich mit Fats völlig unverfälschter Fassung war mir das Ganze doch etwas zu seicht und überproduziert. Auch für die Musik, die Gus ihr ans Herz legte, hatte Doris viel übrig: Stéphane Grappelli, Django Reinhardt’s Hot Club - mit dieser wundervollen Swing-Gitarre - und Bix Beiderbecke. Sie stand auf jazzigen Swing. Später ging sie gern ins Ronnie Scott’s, wenn Charlie Watts und Band auftraten.
    Es dauerte ewig, bis ein Plattenspieler ins Haus kam. Also spielten das Radio und insbesondere die BBC lange Zeit die Hauptrolle. An den Drehknöpfen war meine Mutter unschlagbar. In Großbritannien gab es eine Menge hervorragender Musiker, etwa die Tanzorchester aus dem Norden oder die ganzen Varietétruppen. Da waren erstklassige Leute und praktisch keine Nieten dabei. Wenn irgendwo was Gutes lief, spürte Doris es früher oder später auf. So bin ich aufgewachsen, mit der ständigen Suche nach Musik. Selbst wenn nur ich neben ihr hockte, teilte meine Mutter die Musiker in gut und schlecht ein. Sie war unglaublich musikalisch. Manchmal hörte sie eine Stimme und sagte sofort »Schreihals«, während alle anderen noch dachten, das wäre ein großartiger Sopran. Fernsehen gab es damals noch nicht.
    Ich hörte also eine Menge hochkarätiger Musik. Ein bisschen Bach und Mozart war auch dabei - das war mir viel zu hoch, aber
trotzdem saugte ich alles auf. Ich war praktisch ein musikalischer Schwamm. Vor allem Musiker in Aktion faszinierten mich. Auf der Straße zog es mich unweigerlich in ihre Richtung, zum Pianisten im Pub oder wer auch immer gerade spielte. Meine Ohren lauschten jeder Note, ob schief oder schräg, Hauptsache Noten. Noten, Rhythmen und Harmonien, die sich in meinen Gehörgängen festsetzten und dort wie wild herumschwirrten. Es war wie eine Droge, eigentlich eine viel wirkungsvollere Droge als Heroin. Vom Heroin konnte ich loskommen, von der Musik nicht. Eine Note nach der anderen, man weiß nie, was als Nächstes passiert, und man will es gar nicht wissen. Wie ein Spaziergang auf einem wunderschönen Drahtseil.
    Meine erste selbst gekaufte Platte war »Long Tall Sally« von Little Richard. Glaube ich. Auf jeden Fall sogar nach heutigen Maßstäben ein fantastischer Song - gute Platten werden mit der Zeit immer besser. Aber mein wirkliches Schlüsselerlebnis hatte ich, als ich eigentlich im Bett liegen und schlafen sollte. Mein kleines Radio war eingeschaltet, ich hörte Radio Luxemburg, und plötzlich lief »Heartbreak Hotel«. Das war der Hammer, das war der Urknall. Dieser Song war etwas völlig Neues, so etwas hatte ich noch nie gehört. Mein erster Elvis-Song. Man könnte meinen, ich hätte auf diesen Moment gewartet. Am nächsten Morgen war ich ein anderer Mensch. Und dann ging es los, wie eine Lawine: Buddy Holly, Eddie Cochran, Little Richard, Fats. Leider war Radio Luxemburg berühmt-berüchtigt dafür, dass man es nur selten ordentlich reinkriegte. Ich lief mit meiner kleinen Antenne durchs Zimmer, das Radio ans Ohr geklemmt, und versuchte, den Empfang durch verschiedene Drehungen und Wendungen zu verbessern. Aber ich musste leise sein, sonst wachten meine Eltern auf. Manchmal hatte ich Glück, dann konnte ich mit dem Radio unter die Decke schlüpfen, während ich die Antenne draußen nachjustierte.
Eigentlich sollte ich schlafen, am nächsten Morgen war ja Schule. Dauernd liefen Werbespots, für James Walker, den Juwelier »auch in Ihrer Stadt« oder für die irische Lotterie, mit der Radio Lux anscheinend irgendeinen Deal hatte. Bei der Werbung war der Empfang immer wunderbar. »Und jetzt kommt Fats Domino mit ›Blueberry Hill‹« - und verdammt, genau in dem Moment ging er natürlich den Bach runter.
    Diese Zeile, »Since my baby left me«, diese paar Takte - das war die Initialzündung. Der erste Rock’n’Roll meines Lebens. Eine radikal neue Art, einen Song zu singen und zu spielen, ein radikal neuer Sound. Ein karger, roher Klang ohne Kinkerlitzchen, ohne Geigen und Damenchor und Schmalz. Absolut beispiellos. Hier gab es nichts Überflüssiges, hier lagen die Wurzeln offen, die man irgendwie immer gespürt, aber nie gehört hatte. Dafür ziehe ich den Hut vor Elvis. Die Stille ist deine Leinwand, das ist der Rahmen, in dem du arbeiten musst - versuch bloß nicht, sie zu übertönen. Das hat mich »Heartbreak Hotel« gelehrt. So etwas schonungslos Schlichtes war mir noch nie untergekommen. Natürlich wollte ich sofort wissen, was der Kerl sonst so

Weitere Kostenlose Bücher