Life - Richards, K: Life - Life
heißt es dazu knapp: »Zweite Runde.«
Sie gehörte zu einer Gruppe von Mädchen, die 1962 auftauchte. Wo sie herkamen, haben wir nie herausgefunden, obwohl mein Tagebuch beweist, dass wir uns mindestens einmal im Ken Colyer Club trafen. Damals gab es noch keine Fanclubs. Ich weiß nicht mal, ob wir überhaupt irgendwelche Gigs hatten. Wir hockten einfach die ganze Zeit rum und übten und lernten. Und irgendwie brach plötzlich ein ganzer Haufen Mädchen aus Holborn und
Bermondsey über uns herein. Sie sprachen einen Wahnsinns-Cockney-Slang und waren noch total jung, aber sie sahen es trotzdem als ihre Aufgabe an, für uns zu sorgen. Also kamen sie vorbei und kümmerten sich um die Wäsche und kochten, und dann blieben sie über Nacht und sorgten für den Rest. Es war wirklich keine große Sache. Sex bedeutete damals: Das Gas ist ausgegangen und es sind keine Münzen mehr da. Mir ist ein bisschen kalt, lass uns kuscheln. In Lee war ich lange Zeit verliebt, weil sie einfach unglaublich nett zu mir war. Sexuell war es keine große Sache, wir gewöhnten uns einfach aneinander. Einmal waren wir ein bisschen sauer aufeinander, so was passiert eben. Aber als wir uns danach wiedersahen, konnten wir die Augen nicht voneinander lassen, und uns wurde klar, dass da etwas zwischen uns war. Es ging nur darum, ob wir es schafften, alle Differenzen zu überwinden. Meist klappt das ja. Meinem Tagebuch zufolge kam sie noch ein zweites Mal zu mir zurück.
Bei unserem ersten Gig als »The Rollin’ Stones« muss sie jedenfalls dabei gewesen sein. Den Bandnamen missbilligte Stu zutiefst. Nachdem er sich ausgerechnet hatte, wie viel der Anruf wohl kosten würde, hatte Brian bei Jazz News , einer Art »Wer spielt wo?«-Postille, angerufen und gesagt: »Wir haben da einen Auftritt …« - »Wie nennt ihr euch denn?« Wir starrten uns an. »It?« Dann: »Thing?« Die Zeit läuft. Jetzt muss Muddy Waters helfen! Der erste Track auf The Best of Muddy Waters ist »Rollin’ Stone«. Auf dem Fußboden liegt das Cover. Mit dem Mute der Verzweiflung wagen Brian, Mick und ich den Sprung ins kalte Wasser. »The Rolling Stones«. Puh! Sixpence gespart.
Ein Gig! Alexis Korners Band sollte am 12. Juli 1962 eine Live-Übertragung bei der BBC machen, und er hatte uns gefragt, ob wir im Marquee für ihn einspringen könnten. Der Drummer an dem Abend war Mick Avory - und nicht Tony Chapman, wie es die
Geschichte rätselhafterweise überliefert hat -, am Bass stand Dick Taylor. Der Kern der Stones, Mick, Brian und ich, spielten unser eingeübtes Programm. »Dust My Broom«, »Baby What’s Wrong«, »Doing the Crawdaddy«, »Confessin’ the Blues«, »Got My Mojo Working«. Da sitzt du mit ein paar Leuten zusammen, spielst deine Songs und denkst dir: »Ooh yeah!« Es gibt nichts Größeres als dieses Gefühl. Da kommt dieser Moment, wo du merkst, dass du tatsächlich gerade ein bisschen von der Erde abhebst und dass dir niemand was anhaben kann. Du bist einfach high, weil du da mit einer Handvoll Typen zusammen bist, die genau dasselbe wollen wie du. Und wenn das funktioniert, Baby, dann wachsen dir Flügel. Du weißt, dass du an einem Ort warst, wo die meisten Leute nie hinkommen werden, an einem ganz besonderen Ort.
Bloß dann musst du wieder zurück auf den Boden, und wenn du dort landest, wirst du verhaftet. Trotzdem willst du immer wieder hoch. Das ist wie Fliegen ohne Pilotenschein.
Bild 3
© Dezo Hoffmann/Rex USA
KAPITEL 4
Mick, Brian und ich in Edith Grove, Sommer’62. Wir lernen den Chicago-Blues. Marquee, Ealing Club, Crawdaddy Club. Revierkämpfe mit den Trad-Jazzern. Bill Wyman kommt mit seinem Vox. »Wonging’ the pog« im Station Hotel. Wir holen Charlie an Bord. Andrew Loog Oldham bringt uns bei Decca unter. Erste UK-Tour mit den Everly Brothers, Bo Diddley und Little Richard; unsere Musik geht im Krawall unter. Ein Geschenk von den Beatles. Andrew sperrt Mick und mich zusammen in die Küche, und wir schreiben unseren ersten Song.
D ie Rolling Stones verbrachten das erste Jahr ihres Daseins mit Rumhängen in Kneipen, Essenklauen und Üben. Wir bezahlten dafür, die Rolling Stones zu sein. Unsere Wohnung - die von Mick, Brian und mir - in Fulham, Edith Grove 102, war wirklich ekelerregend. Wir setzten einen fast professionellen Ehrgeiz daran, sie so verwahrlost aussehen zu lassen, da wir ohne Geld sowieso nichts daran ändern konnten. Im Sommer 1962 zogen wir ein. In dem Jahr, in dem wir dort wohnten, herrschte der kälteste
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