Life - Richards, K: Life - Life
rauf und den Mann kennenlernen, der das spielt, und ich muss mit ihm spielen. Und wenn ich nicht mithalten kann, ist es aus. So habe ich mich wirklich gefühlt, als ich dort hochtrabte, knarz, knarz, knarz . Diese Stufen sollte ich als ein ganz anderer wieder runterkommen.
Ian Stewart war der Einzige in dem Raum mit dem aufgeplatzten Sofa, aus dem das Rosshaar hervorquoll. Er saß in Lederhosen am Klavier und spielte mit dem Rücken zu mir, weil er ständig aus dem Fenster nach unten spähte, damit ihm ja nicht sein Fahrrad geklaut wurde, das er an einer Parkuhr angeschlossen hatte.
Gleichzeitig beobachtete er die Stripperinnen mit ihren kleinen runden Hutschachteln, wie sie, Perücke auf dem Kopf, von einem Club zum anderen zogen. »Mannomann, sieh dir das mal an.« Und die ganze Zeit perlten ihm die Sachen von Leroy Carr nur so aus den Fingern. Ich komme da also rein mit meinem riesigen Gitarrenkoffer aus braunem Kunststoff. Und dann stehe ich einfach bloß da. Es war, wie wenn man ins Büro des Schuldirektors zitiert wird. Ich hoffte die ganze Zeit nur, dass mein Verstärker nicht schlappmachen würde.
Stu war im Frühjahr 1962 in den Ealing Club gekommen, weil er eine Anzeige von Brian Jones in den Jazz News gesehen hatte, in der er Musiker suchte, die eine R&B-Band gründen wollten. Brian und Stu probten zunächst mit ganz unterschiedlichen Leuten; jeder steuerte zwei Pfund für die Miete eines Hinterzimmers über einem Pub bei. Mick und mich hatte er schon mal bei ein paar Nummern im Ealing Club gehört und lud uns ebenfalls dazu. Um der Wahrheit - und Mick - die Ehre zu geben: Stu hatte bemerkt, dass Mick bereits hier und da bei den Proben aufgetaucht war. Mick sagte jedoch: »Ich mach’s nicht ohne Keith.«
Jetzt fragte Stu: »Ach, du bist auch schon da, was?« Ich fange also mit ihm an, und er sagt: »Du willst doch wohl nicht diese Rock’n’Roll-Scheiße spielen, oder?« Stu hatte da große Vorbehalte und war total misstrauisch gegenüber Rock’n’Roll. Ich nur: »Doch«, und spiele erst mal ein bisschen was von Chuck Berry. Darauf er: »Oh, du kennst Johnnie Johnson?«, das war Chucks Klavierspieler, und schon stiegen wir voll ein - Boogie-Woogie. Wir spielten nichts anderes. Und dann tauchten nach und nach noch andere Typen auf. Nicht nur Mick und Brian. Geoff Bradford, ein wunderbarer Slide-Bluesgitarrist, der zusammen mit Cyril Davies spielte. Brian Knight, ein Blues-Fan; seine Paradenummer war »Walk On, Walk On«. Das konnte er wie sonst keiner.
Stu hätte also mit all diesen anderen Typen spielen können - tatsächlich waren Mick und ich bloß dritte Wahl, Ersatzleute, nur für den Notfall. Diese Typen spielten in Clubs zusammen mit Alexis Korner; die kannten sich aus. Daran gemessen waren wir blutige Anfänger. Und mir war klar, dass Stu sich entscheiden musste, ob er sich auf diese echt traditionellen Folk-Blues-Musiker einlassen wollte. Inzwischen hatte ich ein paar ziemlich heiße Boogie-Woogie-Nummern und ein bisschen was von Chuck Berry gespielt. Mein Equipment hatte durchgehalten. Und als der Abend vorbei war, wusste ich, dass da eine Band im Entstehen war. Es fiel kein Wort, aber ich spürte, dass ich Stus Aufmerksamkeit geweckt hatte. Geoff Bradford und Brian Knight bildeten nach den Stones eine sehr erfolgreiche Bluesband, Blues by Six. Aber sie waren im Grunde traditionelle Musiker, die nicht die Absicht hatten, je irgendwas anderes zu spielen als das, was sie schon kannten: Sonny Terry und Brownie McGhee, Big Bill Broonzy. Ich glaube, auch für Stu war da irgendwie eine wortlose Übereinkunft zustande gekommen, als ich »Sweet Little Sixteen« und »Little Queenie« gespielt hatte und er eingestiegen war. Wir trafen uns gleich auf einer Tonlage. »Ich komm dann also wieder?« - »Bis nächsten Donnerstag.«
Ian Stewart. Ich spiele noch immer für ihn. Für mich sind die Rolling Stones seine Band. Ohne seine Kenntnisse und seine Organisation und ohne diesen mutigen Schritt, mit dem er alles Vertraute hinter sich ließ und stattdessen das Risiko einging, mit ein paar Grünschnäbeln wie uns zu spielen, wäre nie was aus uns geworden. Ich weiß nicht, worin die Chemie zwischen Stu und mir bestand. Aber er war eindeutig der wichtigste Antrieb hinter allem, was dann folgte. Für mich war Stu schon ein sehr viel älterer Mann - tatsächlich waren es nur drei oder vier Jahre, aber damals schien es mir so. Und er kannte eine Menge Leute. Ich kannte gar keinen. Ich kam geradewegs aus der
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