Life - Richards, K: Life - Life
lernen, und das in kürzester Zeit. Das war das kälteste Wasser, in das wir jemals geschmissen worden waren. Bei ein paar Shows waren wir wahrscheinlich absolut erbärmlich, aber mittlerweile wurde über uns geredet. Das Publikum übertönte uns, glücklicherweise. Schreiende Mädchen geben einen tollen Backgroundchor ab. Da ließ es sich ganz gut üben, in diesem ohrenbetäubenden Gekreisch.
Little Richard zog eine unerhörte Show ab. Er war genial. Man wusste nie, aus welcher Richtung er diesmal auftauchen würde. Fast zehn Minuten lang ließ er die Band »Lucille« raushauen, ganz schön lang für dieses eine Riff. Alle Lichter waren erloschen, außer den Notausgang-Schildern war nichts zu sehen. Und dann stand er auf einmal da, ganz hinten im Saal. Ab und zu rannte er auch kurz über die Bühne, verschwand und kam später wieder. Praktisch jedes Mal ein neues Intro. Allmählich dämmerte es uns, dass er sich immer im Vorhinein schlaumachte. Er sprach mit den Lichtmischern - von wo kann ich reinkommen? Gibt es da oben eine Tür? -, um den bestmöglichen Einstieg auszutüfteln. Manchmal gab es einen Knall, und er war einfach da, manchmal ließ er das Riff fünf Minuten lang laufen und stieg dann von oben herunter. Das war eine ganz andere Liga als die kleinen Bühnen, auf denen man sich kaum umdrehen konnte. Da hatte man sowieso keine großen Möglichkeiten; über die Show musste man sich also keine Gedanken machen. Jetzt sahen wir auf einmal, was man mit so einer Bühne anstellen konnte. Auch Bo Diddley war eine echte Erleuchtung. Wir waren in den Olymp aufgestiegen und durften mit den Göttern sprechen, es war unglaublich, ein Wunder. Wir durften uns abschauen, wie man eine Show abzieht, und dafür konnte man sich kaum einen besseren Lehrer wünschen als den Reverend Penniman Little Richard.
Einen seiner Tricks habe ich öfter mit den X-Pensive Winos durchgezogen. Wir verdunkelten die Bühne, die ganze Band setzte sich im Kreis, rauchte einen Joint und trank ein bisschen was. Das Publikum hatte keine Ahnung, dass wir da oben waren. Dann gingen die Lichter an, und die Show war eröffnet. Das hatte ich mir von Little Richard abgeschaut.
Wenn die Everly Brothers rauskamen, schien immer ein ganz sanftes Licht, die Band spielte ganz leise, dazu ihre Stimmen und der wunderschöne Refrain: »Dream, dream, dream …« Ein beinahe mystisches Erlebnis, wie sie immer um Unisono- und Harmoniegesang herumschwebten. In den Jungs steckt eine Menge Bluegrass. Die beste Rhythmusgitarre meines Lebens habe ich bei Don Everly gehört. Das wird gerne vergessen, aber sein Rhythmusspiel ist perfekt. Wie er sie einsetzt und mit den Stimmen zusammenspielt - wunderbar.
Die beiden verhielten sich sehr höflich, aber distanziert. Ihre Band lernte ich besser kennen: den Bassisten Joey Page, Don Peake an der Gitarre, und an den Drums Jimmy Gordon, den sie direkt von der Highschool geholt hatten. Er spielte auch für Delaney & Bonnie und Derek and the Dominos. Später schlachtete er seine Mutter ab, in einem schizophrenen Anfall, und bekam von einem kalifornischen Gericht lebenslänglich. Aber das ist eine andere Geschichte. Als ich von den Problemen zwischen den Everlys erfuhr, war ich nicht überrascht. Diese Brüderbeziehung hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der zwischen Mick und mir. Man ist gemeinsam durch dick und dünn gegangen, und wenn man dann richtig groß geworden ist, hat man plötzlich Zeit. Zeit, über den anderen nachzudenken, was man an ihm alles nicht leiden kann. Davon später mehr.
Auf derselben Tournee hatte ich ein unvergessliches Erlebnis in der Umkleide. Ich mag Tom Jones, und als wir damals mit Little
Richard auftraten, habe ich ihn kennengelernt. In Cardiff. Ich war schon drei Wochen mit Richard unterwegs. Man kam - und kommt - gut mit ihm aus, wir lachten viel zusammen. Aber bei Tom Jones und seiner Band, den Squires, waren die Uhren fünf Jahre zuvor stehengeblieben. Als sie alle in Little Richards Umkleide einliefen, wirkten sie in ihren langen Leopardenmusterjacketts mit den schwarzen Samtkragen wie eine Prozession dienernder Teddy Boys. Sie machten ihre Kratzfüße, und Tom Jones ging sogar vor Richard in die Knie, als wäre er der Papst persönlich. Diese Gelegenheit ließ sich der Reverend natürlich nicht entgehen. »Meine Jungs!« Sie wussten nicht, dass er eine große Schwuchtel vor dem Herrn war, und hatten daher keine Ahnung, wie sie reagieren sollten. »Na, Süßer, du bist mir ja ein
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