Life - Richards, K: Life - Life
zur Dekoration da - die waren geladen. Wahrscheinlich mit Steinsalz, also halb so wild, aber allein der Anblick reichte. Die Leute verloren die Lust, irgendwas auf die Bühne zu schmeißen oder sonst wie auszurasten. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Im Norden, könnte in York gewesen sein, beschlossen wir einmal, nach dem Gig noch ein paar Stunden im Theater zu bleiben. Unsere Strategie war, dort zu Abend zu essen, abzuwarten, bis alle gegangen waren, und dann aufzubrechen. Ich weiß noch, wie ich hinterher noch mal auf die Bühne geschlendert bin. Die ganze Unterwäsche und so war schon weggeräumt, aber ein alter Hausmeister oder Nachtwächter war noch da. »Klasse Show«, sagte er, »es gibt keinen trockenen Sitz mehr im Haus.«
Vielleicht war es Frank Sinatra oder Elvis Presley ähnlich ergangen. Aber so extrem wie zu Zeiten der Beatles und Stones war es nie gewesen, denke ich, jedenfalls nicht in England. Als hätte man irgendwo den Stöpsel gezogen. In den Fünfzigern hatte man diese Mädchen zu perfekten Barbiepuppen erzogen, aber an irgendeinem Punkt hatten sie beschlossen, endlich die Sau rauszulassen. Was sollte sie aufhalten, als sie die Gelegenheit dazu hatten? Die Lust dringt ihnen aus allen Poren, aber sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Und dann haben sie plötzlich ihr Opfer gefunden: dich.
Der reinste Irrsinn. Einmal entfesselt, waren sie nicht mehr zu stoppen. Da hättest du genauso gut in einen piranhaverseuchten Fluss springen können. Die wuchsen über ihre kühnsten Träume hinaus, hatten vollkommen die Orientierung verloren. Blutend, mit zerrissenen Klamotten und vollgepinkelten Höschen kamen sie aus dem Saal getorkelt. Jeden Abend, wie selbstverständlich. So lief das nun mal. Eigentlich war es egal, wer da oben auf der Bühne
stand. Denen war scheißegal, ob ich hier den Blues spielen wollte oder nicht.
Für einen Typen wie Bill Perks war es der Hammer. Auf einmal lag ihm alles zu Füßen. Irgendwo in Sheffield oder Nottingham erwischten wir ihn mit einem Mädchen im Kohlehaufen. Die beiden sahen aus wie zwei Gestalten aus Oliver Twist . Stu fand ihn schließlich: »Wir müssen los, Bill!« Was soll man auch tun in diesem Alter, wenn plötzlich die halbe Teenagerschaft Großbritanniens entschieden hat, dass du der heißeste Typ überhaupt bist? Was für ein Kontrast. Noch vor sechs Monaten hatte mich keine rangelassen - ich hätte dafür bezahlen müssen.
Zuerst will keine was von dir wissen. Vergiss es, hau ab, la la la la. Und im nächsten Moment krallen sie sich an dir fest. Und du sagst dir, wow, der Umstieg von Old Spice auf Habit Rouge hat echt mal was gebracht. Aber was wollen die eigentlich? Ruhm? Geld? Oder meinen sie es etwa ernst? Klar wirst du misstrauisch, wenn dich die schönen Frauen bisher immer links liegengelassen haben.
Oft waren es nicht die Kerle, sondern die Mädchen, die mich gerettet haben. Meist lief nichts weiter als ein bisschen Kuscheln und Küssen. Einfach nur ein bisschen aneinander festhalten, damit uns nicht so kalt ist in diesen harten, schweren Zeiten. »Verdammt«, sagte ich, »warum gibst du dich überhaupt mit mir ab? Du weißt doch, dass ich ein Arschloch bin. Und dass ich morgen wieder weg bin!« - »Keine Ahnung. Schätze, du bist es wert.« - »Okay, da will ich nicht widersprechen.« So was habe ich zum ersten Mal auf der ersten Tour erlebt, mit den kleinen Engländerinnen im Norden. Nach der Show landest du in einem Pub oder in der Hotelbar, und auf einmal findest du dich in irgendeinem Zimmer wieder - mit einem unglaublich lieben Mädchen, einer Soziologiestudentin von der Sheffield University, die beschlossen hat, heute Abend richtig nett zu sein. Zu dir. »Ich dachte, du wärst ein
intelligentes Mädchen. Ich spiel doch nur Gitarre. Und ich bin auf der Durchreise.« - »Klar, aber ich mag dich nun mal.« Es gibt Nächte, da ist mögen mehr wert als lieben.
Gegen Ende der Fünfziger hatten es die Teenager endgültig zur eigenen Zielgruppe gebracht. Teenager sind eine Erfindung der Werbeindustrie, sogar das Wort kommt aus der Werbung. Alles kaltblütig kalkuliert. Kaum nennst du sie »Teenager«, begreifen sie sich als Gruppe. Ein Gruppenbewusstsein entsteht, ein neuer Markt, nicht nur für Kleidung und Kosmetik, sondern auch für Musik, Bücher und den ganzen Rest. Eine neue Altersgruppe, abgetrennt von den anderen. Damals gab es eine Explosion von Pubertierenden, die Teenies schlüpften geradezu scharenweise aus dem Ei.
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