Life - Richards, K: Life - Life
aufgenommen hat, auf eine Spur, damit man die andere neu bespielen kann. Vom Sound her gehen dabei natürlich Welten verloren. Man dreht das Ganze ein weiteres Mal durch den Fleischwolf, was, wie wir feststellten, gar keine so schlechte Idee war. Das erste Album, ein großer Teil des zweiten, auch »Not Fade Away« - unser erster großer Charterfolg, Nummer 3 im Februar 1964 - und »Tell Me« wurden in wechselnden Studios, aber immer zwischen Eierkartons aufgenommen.
Bei den frühen Alben spazierten dauernd die unglaublichsten Typen zur Tür herein. Phil Spector etwa spielte Bass auf »Play with Fire«, mit Jack Nitzsche auf dem Cembalo. Spector und Bo Diddley tauchten auf, und Gene Pitney, der »That Girl Belongs to Yesterday« aufnahm, eines meiner ersten Gemeinschaftswerke mit Mick.
Der Decca-Deal bedeutete Stus Rauswurf aus der Band. Sechs war einer zu viel, und natürlich traf es den Pianisten. Das Business ist erbarmungslos. Brian musste es ihm sagen, schließlich bezeichnete er sich gerne als Kopf der Band. Keine leichte Sache, ganz im Gegenteil. Aber Stu war nicht überrascht. Er schien in gewisser Weise darauf vorbereitet und hatte sich schon überlegt, wie er reagieren würde. Und er reagierte mit größtem Verständnis. Wir hatten eher ein »Na, vielen Dank, fickt euch doch« erwartet. Stattdessen
kam Stus großes Herz so richtig zur Geltung. Als Antwort meinte er einfach, okay, dann mache ich euch eben den Fahrer. Auf den Platten spielte er immer mit. Ihm ging es um die Musik, um sonst nichts.
Für uns war er nie gefeuert worden. Und er hatte wirklich vollstes Verständnis. »Sehe ich etwa aus wie ihr?«, fragte er. Stu hatte wirklich ein verdammt großes Herz. Ohne ihn hätte es uns nicht gegeben, und er würde uns nicht fallenlassen, nur weil er in den Hintergrund treten sollte.
Kaum war der Vertrag unterschrieben, erschien die erste Single. Jetzt ging es nicht mehr um Wochen, sondern um Tage. Unser erster Versuch, »Come On« von Chuck Berry, fiel sehr kommerziell aus. Mit voller Absicht. In meinen Augen hätten wir es noch besser hinbekommen können, aber ich wusste, dass der Song auch so Eindruck hinterlassen würde. Technisch gesehen war die Aufnahme wahrscheinlich besser, als ich zu der Zeit dachte. Damals glaubten wir wohl, wir hätten nur diesen einen Versuch. In den Clubs hatten wir den Song nie gespielt, unser eigentlicher Stil war ganz anders. In der Band herrschte noch ein richtig puristischer Geist, was mir natürlich nicht so lag. Klar, ich liebte meinen Blues, aber ich erkannte auch das Potenzial anderer Richtungen. Und ich liebte Popmusik. Für mich war der Song ein Türöffner, da war ich ganz rational. Ich wollte einfach ins Studio gehen und ein richtig kommerzielles Lied aufnehmen. Mit Chuck Berrys Original hatte unsere Version wenig gemeinsam - viel mehr mit den Beatles, muss man sagen. Wenn man in England ins Studio ging, konnte man nicht lang rumeiern. Man ging rein und zog es durch. Ich glaube, jeder fand, dass wir damit durchaus eine Chance hatten. Die Band selbst dachte sich einfach: »Scheiße, wir machen eine Platte! Unglaublich, was?« Gleichzeitig fühlten wir uns wie vor dem Jüngsten Gericht. Mein Gott, wenn das Ding einschlägt, haben
wir noch exakt zwei Jahre! Und was dann? Länger hielt sich niemand. Damals war man durchschnittlich zweieinhalb Jahre von Interesse. Abgesehen von Elvis hatte niemand das Gegenteil bewiesen. Selbst heute trifft diese Regel weitgehend zu.
Dabei waren wir praktisch noch eine Clubband, als die Platte rauskam. Schon komisch. Zu was Größerem als dem Marquee hatte es bislang nicht gereicht. Aber der Song schummelte sich irgendwie in die Top Twenty, und von heute auf morgen, innerhalb von einer Woche oder so, hatten wir uns in Popstars verwandelt. Eigentlich unfassbar. Wir waren immer noch eine ziemlich raue Truppe - »Ach, hau doch ab«, »Fick dich, Mann«, so die Masche. Aber plötzlich ziehen sie uns beschissene Karojacketts an, und ab geht’s, wie eine Flutwelle, ein Tsunami. Eben noch wolltest du bloß eine Platte aufnehmen, mehr nicht, und kaum hast du sie aufgenommen, ist die Platte in den verdammten Top Twenty, und auf einmal musst du zu Thank Your Lucky Stars . Ins Fernsehen! Wahnsinn. Wir wurden gnadenlos ins Showbusiness katapultiert. Mit unserer Anti-Showbiz-Haltung hätten wir dem ganzen Zirkus am liebsten die kalte Schulter gezeigt. Es reicht, lasst uns in Ruhe und so weiter. Aber wir sahen ein, dass wir ein paar
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