Life - Richards, K: Life - Life
mussten wir vor Gericht. Aber schon vorher machte er im Scotch of St. James, einem Club, eines Abends den Fehler, die Treppe runterzukommen, während Andrew und ich gerade raufgingen. Wenn er an uns vorbeiwollte, musste er blechen. Weil man auf einer Wendeltreppe
schlecht mit der Stiefelspitze zutreten kann, bekam er mein Knie zu spüren, und zwar einmal für jeden Riesen, den er uns schuldete. Insgesamt sechzehn an der Zahl. Trotzdem dachte er nicht daran, Abbitte zu leisten. Vielleicht hätte ich härter zutreten sollen.
Als ich ein bisschen mehr verdient hatte, kümmerte ich mich um meine Mum. Doris und Bert hatten sich getrennt, ein Jahr nach meinem Auszug. Klar, Dad war Dad, aber Mum bekam ein Haus von mir. Doris und ich blieben immer in Kontakt, was jedoch irgendwie bedeutete, dass ich mich von Bert fernhalten musste. Als müsste ich mich für eine Seite entscheiden, weil die beiden auseinander waren. Davon abgesehen hatte ich kaum Zeit, denn mein Leben nahm gerade so richtig Fahrt auf. Ich war überall zugleich, ich hatte zu tun. Da konnte ich nicht ständig über meine Eltern nachgrübeln.
Dann kam »Satisfaction« und katapultierte uns in den Rock-Olymp. Ich hatte zu der Zeit keine Freundin und hauste in meiner Wohnung in Carlton Hill, St. John’s Wood. Daher vielleicht die Stimmung des Songs. Ich habe ihn im Schlaf geschrieben. Ohne es mitzubekommen. Gott sei Dank stand da mein kleiner Philips-Kassettenrekorder, sonst hätte es den Song niemals gegeben. Das reinste Wunder: Ich wachte auf und entdeckte den Rekorder. Ich wusste, ich hatte erst gestern Abend eine frische Kassette eingelegt - und jetzt war das Band voll. Also drückte ich auf Rewind, und da war er: »Satisfaction«. Nur die Grundidee, nur das Nötigste, und natürlich ohne diese Verzerrung, weil ich auf der Akustischen gespielt hatte. Gefolgt von vierzig Minuten schnarchendem Keith. Aber die Grundlagen waren da, und mehr brauchst du nicht. Ich habe die Kassette noch eine Weile aufgehoben. Leider, leider nicht bis heute.
Die Lyrics schrieb Mick am Pool in Clearwater, Florida, und vier Tage später gingen wir ins Studio und nahmen das Teil auf. Zuerst die akustische Version bei Chess in Chicago, dann mit der verzerrten Gitarre im RCA in Hollywood. Ich schickte meiner Mutter eine Postkarte aus Clearwater: »Hi Mum. Schufte wie ein Tier, wie immer. Alles Liebe, Keith.« Was nicht übertrieben war.
Ein winziges Pedal, das war das Entscheidende: die kleine Fuzzbox von Gibson, die damals gerade auf den Markt gekommen war. Ich habe insgesamt nur zweimal mit Pedalen gearbeitet - zum zweiten Mal Ende der Siebziger auf Some Girls . Da war es eine XR-Box mit einem hübschen, Hillbilly-mäßigen Slap-Echo im Sun-Records-Stil. Eigentlich stehe ich nicht so auf Effekte. Mir kommt es auf die Soundqualität an - soll es scharf klingen, hart und schneidend, oder eher warm und weich à la »Beast of Burden«? Letztlich läuft es immer auf dieselbe Entscheidung hinaus: Fender oder Gibson?
Für »Satisfaction« schwebte mir ein Bläsersatz vor. Also versuchte ich, diesen Sound zu imitieren, um ihn später auf dem Track unterbringen zu können. In meinem Kopf hatte ich das Riff schon so gehört, wie es Otis Redding später spielen würde. Und das übernimmt dann die Bläsersektion, dachte ich mir. Aber wir hatten eben keine Bläser, weshalb ich mich mit einem vorläufigen Demo begnügen musste. Mit dem Verzerrer konnte ich wenigstens andeuten, was die Bläser machen sollten. Immerhin. Doch dann schossen sich plötzlich alle auf diesen noch nie dagewesenen Effekt ein. Kurz darauf, irgendwo in Minnesota, hörte ich uns im Radio - als »Hit der Woche«! Wir hatten gar nicht mitbekommen, dass Andrew das Scheißteil veröffentlicht hatte. Zuerst schämte ich mich halb zu Tode. Für mich war das nur die Rohfassung. Zehn Tage später, wir waren noch immer auf Tour, stand unsere Single auf Platz eins der landesweiten Charts! Die Platte des Sommers’65.
Da beschwerte ich mich nicht mehr. Ich hatte meine Lektion gelernt: Man kann auch zu viel herumbasteln. Der eigene Geschmack ist nicht das Maß aller Dinge.
»Satisfaction« war typisch für die damalige Zusammenarbeit zwischen Mick und mir. Alles in allem würde ich sagen, dass ich die Basisidee und Grundstruktur des Songs beisteuerte, und Mick die knifflige Arbeit erledigte. Er stopfte die Löcher und verlieh dem Ganzen das gewisse Etwas. Ich ließ mir was einfallen, etwa »I can’t get no satisfaction … I
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