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LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

Titel: LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Everson
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im Refrain abbrach.
    Heute Abend würde keine Frau erscheinen. Kein Lied. Keine makellose, schneeweiße Haut. Evan erhob sich. Vorsichtig Fuß vor Fuß setzend, trat er auf die zerklüfteten, vom Kot der Möwen übersäten Kanten der schwarzen Felsen. Er machte sich auf den Rückweg. Dabei hatte er es längst nicht mehr so eilig wie noch vorhin.
    Schon nach den ersten zögernden Schritten hielt er plötzlich inne. Wunschdenken?
    Nein.
    Da war es wieder. Das Lied. Ein angenehmes Gefühl lief ihm über den Rücken, schon die ersten Töne versetzten sein Blut in Wallung. Er blickte auf die Wellen hinaus und konnte nichts als Schwärze erkennen. Zwischen den Felsen rührte sich nichts. Aber das Lied. Das Lied war überall. Evan hatte keine Ahnung, in welche Richtung er sich wenden sollte, doch er wollte unbedingt näher an den Ursprung dieser Melodie gelangen. Er musste die geheimnisvolle Unbekannte wiedersehen. Mit ihr reden. So eine bezaubernde Stimme …
    Er lief ein paar Schritte zurück in Richtung des Aussichtsplateaus, doch auf halbem Weg blieb er stehen; die Musik schien kein bisschen näherzukommen, wenn er in diese Richtung ging. Vielleicht war sie ja doch weiter von ihm entfernt. Abermals ließ er den Blick über den düsteren Strand und die noch dunkleren Felsen und Wellen schweifen, doch im Mondlicht zeigte sich keine Spur von der Sängerin.
    Evan schloss die Augen. Die Töne brandeten durch sein Hirn wie der Ozean über den Sand. Er merkte, dass sie lauter wurden, wenn er sich einfach entspannte und lauschte … und genau das tat er. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, während er diesem reinen, vollkommenen Sopran lauschte. Die Melodie schraubte in unergründliche Höhen empor, tönte kristallklar wie Vogelgesang, ehe sie zum sonoren Ruf eines Wales abschwoll, nur um dann wieder verträumte, weit konventionellere Oktaven zu erklimmen. Schönheit im Gegensatz. Schönheit in der Symmetrie. Mühelos wurde ihre Stimme durch die Schwingungen und Schleifen der Komposition getragen – eine liebliche, gefährlich bezaubernde Darbietung. Eindeutige Wörter vermochte er nicht auszumachen, aber definitiv sang sie etwas . Und was auch immer die Silben zu bedeuten hatten, sie ließen sein Herz vor Freude und dann wieder vor Kummer erbeben. Das Lied war bittersüßer Wahnsinn, und Evan gab sich ganz der Schönheit des Gesangs hin.
    Nach einer Weile war ihm klar, welchen Weg er einschlagen musste, und er bewegte sich auf die lockenden Klänge zu. Er fühlte sich wie im Rausch, ganz schwindelig wie nach unglaublichem Sex kurz nach Mitternacht, wenn Hitze und Begierde abkühlten und sich in weit mehr als bloße körperliche Erschöpfung und seelische Entspannung verwandelten. Evan lief einfach drauflos. Er hielt die Augen dabei geschlossen, dennoch war es ihm so, als könnte er sehen. Die Musik weckte in ihm Visionen von zuckenden Blitzen in tiefem, einschläferndem Violett, von saftig smaragdgrünen Bergen und Ozeanwellen, die wie Juwelen in kühlem Blau schimmerten, Ozeanwellen, die …
    … ihm sanft gegen die Brust schwappten und sein Gesicht mit salziger Gischt besprühten.
    Als ihm eine weitere Woge entgegenklatschte, schlug Evan die Augen auf. Da sah er sie. Nur wenige Meter entfernt ließ sich die Frau im Wasser treiben, und ihre dunklen Augen funkelten im Mondlicht, das sich in der Meeresoberfläche spiegelte. Ihre Zunge stieß gegen blendend weiße Zähne, während sie eine Reihe fremdartig anmutender Akkorde trillerte. Doch mit einem Mal fiel der Bann der Musik von Evan ab. Er spürte die Kälte des Wassers auf seiner Haut, war wie elektrisiert. Panik überkam ihn.
    Er schrie. Die Frau riss im selben Moment entsetzt die Augen auf und tauchte unter die Wellen ab.
    Evan wollte seinen Augen kaum trauen, als sie in der Tiefe verschwand, und er begriff, wie weit er ins Wasser hinausgewatet war, ohne zu wissen, was er da tat. Wie hatte ihm so etwas nur passieren können? Bevor er die Augen aufschlug und ihr direkt ins Gesicht blickte, hatte er die Nässe überhaupt nicht wahrgenommen. Heftig mit den Armen rudernd, um im steten Wogen das Gleichgewicht nicht zu verlieren, bemerkte Evan, dass er pausenlos brüllte, seit er den ersten Spritzer Salzwasser im Gesicht verspürt hatte. Bemüht, nicht völlig die Fassung zu verlieren, zwang Evan sich dazu, Schritt für Schritt zurück ans Ufer zu gehen.
    Die Frau war nicht wieder aus den Wellen aufgetaucht, doch daran verschwendete Evan im Moment keinen Gedanken. Das

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