Light & Darkness
Dante oder Kane zu erwähnen. Sie brauchte zuerst etwas Abstand von der Situation und ein klärendes Gespräch mit Kane, bevor sie dazu bereit war, das Geschehene mit Anna und Kathryn zu teilen. Mit Dante verhielt es sich ähnlich. Sie war nicht in ihn verliebt, aber der Gedanke ihn schon bald nicht mehr jeden Tag zu sehen war schmerzhaft wie ein Stich ins Herz. Er war in kurzer Zeit ein Teil ihres Lebens geworden und bestimmte ihren Tagesablauf. Keinem anderen Wesen würde es je gelingen Dantes Platz einzunehmen, denn er war etwas Besonderes.
Auch nachdem Light sich von Anna und Kathryn verabschiedet hatte blieb ein seltsames Gefühl, wenn sie daran dachte, dass Dante schon bald wieder aus ihrem Leben verschwinden würde. Sie rannte den Weg zur Schwebebahn, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ihr Herz schlug wie wild gegen ihre Brust, als sie in die Bahn einstieg. Kaum saß sie auf ihrem Platz, fehlte ihr die Bewegung des Laufens und sie begann den Reißverschluss ihrer Jacke nervös auf- und zuzuziehen. Unwillkürlich berührte Light ihre rauen Lippen mit der Zunge und die Erinnerung an den gestrigen Abend stieg in ihr auf.
Kanes kühle Finger in ihrem Nacken. Das Prickeln ihrer Haut. Seine kalten Lippen auf ihrem Mund. Besitzergreifend. Die Berührung ihrer Körper. Aneinandergepresst. Ihre Atmung im Gleichklang und doch nur stoßweise.
Niemals hätte Light gedacht, dass etwas so Falsches sich doch so richtig anfühlen konnte. Doch sie hätte Kane nicht küssen dürfen, es war ihm gegenüber nicht gerecht. Er war für sie wie ein Bruder, ihr bester Freund. Ob es zwischen ihnen je wieder so sein würde wie vorher, nach diesem Kuss?
Eine Frauenstimme verkündete über den Lautsprecher, dass die Schwebebahn die Station am Fitnessstudio erreicht hatte. Light zog den Reißverschluss ihrer Jacke ein letztes Mal nach oben, bevor sie sich der beißenden Kälte stellte. Die wenigen Meter bis zum Studio überquerte sie im Sprint, um sich warmzuhalten.
Am Eingang wartete Dante bereits auf sie. Er trug noch immer seine Sporthose und ein einfaches T-Shirt. Seine Haut fühlte sich immer warm an wie nach einem heißen Bad. Seine Finger würden sich warm in ihrem Nacken anfühlen, ganz anders als die von Kane. Seine Lippen heiß auf ihrem Mund, wenn er sie –
Light schüttelte den Kopf, nun war es offiziell – sie wurde verrückt. Seit wann wollte sie Dante küssen? Der Stress nach ihrer Delegation war ihr nicht gut bekommen. Die ständige Sorge darüber, was Dante ihr und ihrer Familie antun könnte, seine nervenaufreibenden Spiele, die stetige Angst, was passieren würde, wenn sie die Wette verlor und das Verlangen, den Kuss mit Kane ungeschehen zu machen hatten ihr offensichtlich mehr zugesetzt, als sie dachte.
»Willst du nur herumstehen und mich anhimmeln, oder wollen wir gehen?« Dantes Stimme drang wie aus der Ferne an ihr Ohr und riss sie aus ihren Gedanken. »Ich kann verstehen, dass mein Anblick dich sprachlos macht, aber ich bin müde und hungrig. Und Silvia macht heute Hamburger – nach thailändisch mein absoluter Favorit! Du hast da übrigens etwas Braunes an der Backe kleben.«
Mechanisch hob Light ihre Hand und wischte sich über die Wange. Ihre Stimmung erreichte einen weiteren Tiefpunkt, während sie sich die klebrige, braune Masse von der Haut kratzte. »Großartig! Schokoladeneis«, bemerkte sie sarkastisch und wischte sich ihre Hände an einem alten Taschentuch ab. Dante konnte sich eine weitere Bemerkung über die Ähnlichkeit der Eiscreme mit einem Produkt der menschlichen Ausscheidung nicht verkneifen und erntete von Light einen Blick, der so gefährlich war wie eine geladene Waffe direkt über dem Herzen.
»Ist die schlechte Laune noch von gestern oder ist die schon wieder neu?«, fragte Dante auf dem Weg zurück zur Bahn. Die in der Luft schwebenden Gleise leuchteten bereits in einem tiefen Rot, was das baldige Eintreffen der nächsten Bahn ankündigte.
Light blieb in dem für den Einstieg gekennzeichneten Feld stehen. »Eine Mischung aus beidem.«
»Erzählst du mir nun, was gestern passiert ist?« Dante stellte sich vor sie, kaum eine Handbreite entfernt. Sie spürte seine Wärme auf ihrer Haut, die vor der Kälte schon ganz taub war. Für einen Moment stellte sie sich vor, wie es wäre Dante zu umarmen. Sie würde ihre Arme um seinen warmen Körper schlingen, seine Hitze in sich aufnehmen und ihr Gesicht in seiner Brust vergraben. Es wäre so einfach, nur ein kleiner Schritt nach vorne.
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