Light & Darkness
mit Dante eine Seitenstraße nutzen, um zum Auto zurückzugelangen, ganz ohne Anrempeln. Sie stieg über einen ärmlich angebrachten Zaun, der zu einer angrenzenden Gasse führte. Dort gab es kein Licht, aber der Markt war hell genug, so dass sie ohne Probleme den Weg zwischen den Mülltonnen fanden.
»Wirklich ein toller Familienausflug«, sagte Dante, der jetzt neben ihr lief. »Mein Vater der Buchhändler wird sicher beleidigt sein, wenn ich ihm erzähle, was für einen Spaß ich heute hatte. Eine Stunde hinter dir her laufen, während du genervt und wütend irgendwelche unverständlichen Worte murmelst. Besser als Disneyland.«
»Dante? Halt die Klappe.« Ihr scharfer Ton ließ Dante überrascht aufschauen. Er wollte etwas erwidern, als ein Schluchzen seine Worte abwürgte. »Hast du das gehört?« Wie abgesprochen blieben sie im selben Augenblick stehen, lauschten. Das Schluchzen war kaum zu überhören. Es wurde immer lauter und stammt zweifellos von einem Kind.
»Hallo?« Light trat einen Schritt nach vorne. »Ist da jemand?«
»Natürlich ist da jemand«, zischte Dante und erntete dafür einen Stoß in die Rippen.
Langsam, als hätten sie es mit einem scheuen Reh zu tun, steuerte Light auf den nächsten Müllcontainer zu. »Wir wollen dir nichts tun. Hast du dich verlaufen?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.
Das Schluchzen verstummte und eine halbe Minute lang höre man nur den Wind und die Musik, die vom Weihnachtsmarkt in die dunkle Gasse getragen wurde. »Ich kann meine Eltern nicht finden«, antwortete die Stimme eines Jungen, die sich weniger kindlich anhörte als das Schluchzen. Zehn Meter vor Light trat er aus dem Schatten von einem der Müllcontainer hervor. Er trug eine dicke Winterjacke und eine rote Mütze, die der von Light sehr ähnelte. Der Junge war zehn, wenn nicht schon elf Jahre alt. Ein blonder Haarschopf war unter der Mütze zu sehen und sein Gesicht war von Tränen überströmt, doch sein Blick war klar.
»Warst du mit deinen Eltern auf den Weihnachtsmarkt?« Light lächelte ihn an und ging zu ihm. Er zitterte am ganzen Körper, die Arme hatte er vor seiner dünnen Brust verschränkt. Seine Zähne klapperten, als er antwortete: »Ich habe die Katze gesucht.«
Light sah die Straße entlang, sie konnte weder eine Katze noch die Eltern des Jungens sehen. Er sah so verfroren aus, als würde er schon mehrere Stunden in der Kälte warten. Unsicher blickte Light sich ein weiteres Mal um. Sollte sie hier mit ihm warten oder ihn mit zum Weihnachtsmarkt zurücknehmen? Sie entschied sich für das Letztere, denn auf dem Markt konnten sie ihm noch eine Tasse heißen Kakao kaufen, bevor sie ihn am Infopoint abgeben würden. Wenn die Eltern nach ihm suchten, dann dort.
Sie streckte dem Jungen die Hand entgegen. »Ich bin Light. Wie ist dein Name?«
»Alexander«, schluchzte der Junge und nahm ihre Hand. Light drückte sie leicht, um ihn zu beruhigen. »Der schweigsame Typ hinter mir ist Dante. Wir gehen mit dir zurück zum Weihnachtsmarkt, um dort deine Eltern zu finden. Was hältst du davon?« Er überlegte einen Augenblick, schniefte ein letztes Mal und nickte.
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragte Dante. In einem Meter Abstand trottete er hinter ihnen her. Lustlosigkeit und auch ein Hauch Verunsicherung waren ihm anzuhören.
»Natürlich ist das eine gute Idee.« Light warf ihm einen warnenden Blick zu. Sie würde sich mit ihm nicht vor Alexander streiten. Der Junge war schon verängstigt genug.
Sie hatten kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als drei schemenhafte Gestalten um das andere Ende der Straße bogen. An der schmal geschnittenen Taille erkannte Light, dass mindestens einer der Schatten eine Frau war. Sicherlich die Eltern, die Alexander suchten. Erleichtert atmete sie auf und steuerte eilig auf die Leute zu. Mit jedem weiteren Meter, den sie sich einander näherten, wurde sie zuversichtlicher, denn die Gestalten näherten sich ihnen mit sicheren Schritten. Alexander wurde unruhig. Er ließ Lights Hand los und stürmte auf die drei Personen zu. Mit einem zufriedenen Lächeln seufze Light und wandte sich ab, um wieder zurückzugehen, als sie bemerkte, dass etwas mit der Szene nicht stimmte.
Alexander stand vor diesen Leuten, als wären es Fremde. Es gab keine Umarmungen. Keine Freudenschreie. Nicht einmal eine Rüge dafür, dass er weggelaufen war. Fragend sah Light zu Dante und erblickte hinter ihm weitere Leute, die direkt auf sie zukamen. Ihre Schritte
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