Liliane Susewind – Delphine in Seenot (German Edition)
regelrecht eingefroren. Mit großen Augen starrten sie Lilli an. So reagierten Tiere immer, wenn sie zum ersten Mal auf Lilli trafen. Sie wussten nicht, was sie von diesem Mädchen halten sollten, und staunten sie erst einmal an, als seien sie hypnotisiert.
»Alles fit?«, kläffte Bonsai den Hühnern schwanzwedelnd zu. Er dachte wohl, die Aufmerksamkeit gelte ihm.
»Himmel! Die Hühner!«, zischte Frau Susewind, als sie erkannte, was los war. »Die sollen bloß keinen Aufstand machen!« Sie hob beschwichtigend die Hände und behielt die Tiere fest im Blick. »Komm, Lilli, verschwinden wir von hier«, flüsterte sie und begann, wie in Zeitlupe rückwärtszugehen.
Lilli tat es ihr gleich und schlich auf Zehenspitzen rückwärts von den Hühnern fort. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden die Hühner einfach weiter wie erstarrt herumstehen, doch dann schmetterte der Hahn mit markerschütternder Stimme: »Lasst sie nicht entkommen! Attacke!« Die Hühner erwachten aus ihrer Versteinerung, gackerten laut und rannten dem Hahn hinterdrein, der mit ohrenbetäubendem Vogelgezeter zur Verfolgung angesetzt hatte.
»Weg hier!«, rief Lilli und nahm die Beine in die Hand. Ihre Mutter, Bonsai, Frau von Schmidt und sie preschten durch die Sträucher, hasteten zum Wagen und sprangen in Windeseile hinein. Hektisch ließ Frau Susewind den Motor an.
»Was ist los?«, fragte Lillis Vater verdutzt, doch schon stob ein ganzer Tross wild gewordener Hühner durch die Sträucher, angeführt von einem blindwütig voranstürmenden Hahn, der krähte: »Schnappt euch das Mädchen! Es soll nochmal was sagen!«
»Ach du liebes bisschen!«, keuchte Lillis Oma. »Regina, gib Gas!«
Frau Susewind ließ den Motor aufheulen. Da waren die Hühner am Auto. Der Hahn landete mit Gepolter auf dem Dach und krakeelte aus vollem Halse: »Mädchen! Sag was! Sag was!« Die Hühner sprangen auf die Motorhaube und das Dach des Wagens und gackerten lauthals durcheinander. Lilli konnte in dem Lärm nur wenige einzelne Stimmen ausmachen, doch diese riefen: »Das Mädchen darf nicht einfach weggehen!«, »Sie kann Huhnisch!« und: »Sie soll bei uns wohnen!«
Lillis Mutter hupte energisch, trat aufs Gaspedal und fuhr los. Durch den Ruck fielen die Hühner vom Wagen und purzelten kreuz und quer durcheinander. Zahllose Federn tanzten vor den Fenstern, flaumige Hinterteile reckten sich in die Höhe und aufgeregtes Keifen erfüllte die Luft.
Der Hahn landete schließlich zuoberst auf einem Berg von flatternden, gackernden Hühnern. Er betrachtete die wuselnde Hühnerschar unter sich, reckte stolz den Hals und krähte: »Alles meins!«
Haus Ferienglück
»Ist es das?« Lillis Oma beugte sich vor und spähte aus dem Fenster.
»Ja, das muss es sein«, bestätigte Lillis Vater. »Ach du meine Güte, seht euch das an!«
Lilli beugte sich ebenfalls vor. Haus Ferienglück war ein altes Gebäude aus dunklem Stein, das seltsamerweise vier hohe Türme hatte. Das vermittelte einen altertümlichen, märchenhaften Eindruck und erinnerte Lilli an eine Burg oder ein Schloss. Anders als eine Märchenburg war das Haus jedoch quietschbunt geschmückt. Überall hatte man flatternde Fahnen und Wimpel angebracht und auf diese wiederum knallige Blumen oder Smileys gemalt. Die Fensterrahmen des Gebäudes waren allesamt in grellen Farben angepinselt, und das Dach leuchtete mintgrün.
Sie fuhren unter einem großen, türkisfarbenen Torbogen hindurch, auf dem eine mannshohe, rot-grün karierte Sonnenblume aus Plastik thronte. »Das ist ja wohl ein Witz«, stieß Lillis Mutter entgeistert hervor.
»Regina! Gänseblümchen!«, ordnete Lillis Oma mit strenger Stimme an, und Frau Susewind verstummte.
Sie hielten vor dem Haus und stiegen mit verblüfften Gesichtern aus. Erst jetzt bemerkten sie das helle Klingeln, das die Luft erfüllte. Lilli sah sich um und entdeckte schnell, woher das Geklimper kam: An den Wänden und am Dach des Hauses waren zahllose Windspiele angebracht, die durch die leichte Brise glockenhell vor sich hin bimmelten.
Bonsai drehte sich verwundert und mit gespitzten Ohren im Kreis. »Was ist das? Alarm?«
»Nein, schon gut, Bonsai«, flüsterte Lilli ihm hinter vorgehaltener Hand zu. Sie durfte ja nicht offen mit den Tieren sprechen. Frau von Schmidt hatte sich für ein Schläfchen in ihrer Transportbox zusammengerollt, doch Bonsai interessierte sich sehr für seine neue Umgebung.
»Was wassert da so?«, fragte der kleine Hund.
»Du meinst das
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