Liliane Susewind – Mit Elefanten spricht man nicht! (German Edition)
Gerade sagte er: »Elefanten sind eigentlich Herdentiere, sie leben nicht gern ohne Artgenossen.«
»Warum ist dieser hier allein?«, fragte Herr Gümnich den Pfleger.
»Diese Kuh ist erst seit ein paar Monaten allein. Sie hatte ein Junges, das wir aber an einen anderen Zoo verkauft haben.«
»Wieso denn das?«
»Nun, vielleicht haben Sie in der Zeitung darüber gelesen. Die Elefantenkuh hat seit einiger Zeit völlig unberechenbare Aussetzer. Manchmal bekommt sie regelrechte Tobsuchtsanfälle und rammt ihren Kopf gegen die Wand oder wirft sich gegen das Gitter. Vor ein paar Monaten hat sie bei einem dieser Anfälle ihr Junges verletzt. Sie hat das Kleine umgerannt und wäre beinah über seinen Kopf getrampelt. Wir hatten Glück, dass der Babyelefant nicht mehr als ein paar Schrammen davongetragen hat. Aber wir konnten nicht riskieren, dass er beim nächsten Mal schwer verletzt wird. Es wurde für ihn einfach zu gefährlich, und deshalb haben wir ihn weggeben müssen.«
Die Augen der Elefantin suchten in der Menge weiter nach dem Menschen, den sie eben sprechen gehört hatte. Unauffällig betrachtete sie jeden Einzelnen auf der anderen Seite der Gitterstäbe, verharrte dabei aber in ihrer zusammengesunkenen, traurigen Haltung, sodass niemand bemerkte, dass sie inzwischen hellwach war.
»Wenn wir das alles eher gewusst hätten, wäre der Bau des neuen Elefantenhauses vielleicht gestoppt worden«, fuhr der Pfleger unterdessen fort.
»Ein neues Elefantenhaus?«, wiederholte Herr Gümnich.
»Ja, es wird in drei Wochen eröffnet. Es ist ein großes neues Haus mit weitläufigem Freigehege. Aber jetzt, da wir nur noch einen Elefanten haben – der auch noch verrückt zu sein scheint –, überlegt die Zooleitung, ob wir das neue Elefantenhaus nicht zu etwas anderem umfunktionieren sollten. Für ein einzelnes Tier ist das Gehege viel zu groß, aber wir können keine anderen Elefanten hinzukaufen, weil Marta – so heißt sie – eine Gefahr für jedes andere Tier darstellt.«
Die Augen der Elefantin suchten weiter.
»Die Zoodirektorin hat sogar schon überlegt, Marta einschläfern zu lassen, wenn das nicht besser wird«, fügte der Pfleger hinzu.
»Sie meinen … oh.« Herr Gümnich wirkte bestürzt. »Aber haben Sie denn keine Ahnung, warum sie diese Aussetzer hat? Jetzt gerade wirkt sie doch eigentlich ganz friedlich.«
»Diese Anfälle kommen immer ganz plötzlich – und leider meist dann, wenn viele Leute vor ihrem Käfig stehen. Aber warum sie so durchdreht, wissen wir nicht.«
Da hob Jesahja die Hand. Der Pfleger nickte ihm freundlich zu. »Was wäre, wenn man herausfinden würde, was die Ursache für ihr Verhalten ist?«, wollte Jesahja wissen. »Wenn man es herausbekäme und die Ausraster dadurch vielleicht aufhören würden? Könnte man das Elefantenbaby dann zurückholen? Irgendwie wirkt sie einsam.«
Unterdessen wandte Marta leicht den Kopf, um die Menschen am äußeren Rand der Menge nach dem Besitzer der Stimme abzusuchen.
Der Pfleger schmunzelte über Jesahjas Äußerung. »Also, erstens haben wir schon alles versucht, um es herauszufinden. So einfach ist das nicht. Und zweitens könnten wir ihr Junges auch nicht zurückholen, wenn Marta wieder die Alte wäre.« Den letzten Satz sprach er mehr wie zu sich selbst, aber Jesahja entging er nicht.
»Und warum nicht?«
»Nun … also …«, stammelte der Pfleger und wurde rot. »Ähm, der Zoo hat im Moment nicht genug Geld, um neue Tiere zu kaufen. Der Bau des Elefantenhauses war kostspieliger als geplant, und –«
»Sie bauen ein teures neues Haus und haben dann kein Geld, um Tiere zu kaufen, die darin leben?«, wunderte sich Jesahja. Der Pfleger wurde noch röter im Gesicht, diesmal allerdings aus Verärgerung. »Wir haben vor, demnächst ein neues Lama zu kaufen«, entgegnete er.
»Ein Lama?«, rief Jesahja. »Von denen haben Sie doch schon genug! Wieso kann man von dem Geld nicht das Elefantenbaby zurückkaufen?«
»Zum einen, junger Mann, weil ein Lama billiger ist als ein Elefant«, antwortete der Pfleger in barschem Tonfall. Er fand offenbar, dass der Junge mit den lockigen schwarzen Haaren langsam unverschämt wurde. »Zum anderen, weil Marta ihr Junges zerquetschen würde, wenn wir es zurückkauften.«
»Vielleicht sollten wir weitergehen«, mischte sich Herr Gümnich ein.
Jesahja war aber noch nicht fertig. »Wie viel Geld fehlt denn?«, fragte er.
»Das geht dich gar nichts an!«, gab der Pfleger ungehalten zurück.
»Wissen
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