Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
schließlich aus den Ställen heraustraten, um etwas trinken zu gehen, führte Egobert Storm gerade aus seiner Box. Lilli bemerkte sofort, wie angespannt der schwarze Hengst war. Seine Ohren zuckten und seine Augen blickten wild umher. Egobert zog Storm mit unerbittlichem Griff am Halfter. Plötzlich aber blieb der Hengst stehen, stemmte sich mit aller Kraft in die entgegengesetzte Richtung und röchelte: »Ich gehe nicht mit dir!« Egobert zog kurz und heftig am Halfter. Lilli konnte hören, wie das Metallstück der Trense in Storms Maul gegen seine Zähne schlug. Erschrocken fuhr sie sich mit der Hand an den Mund.
Der Hengst schüttelte sich und schrie auf: »Geh weg! Ich hasse dich!« Aber Egobert ließ sich nicht beirren. Er zog erbarmungslos am Halfter und dirigierte Storm mit seiner Reitgerte, damit er nicht zur Seite ausbrechen konnte.
Lilli konnte nicht länger an sich halten. »Storm will nicht mit Egobert gehen!«, brach es aus ihr heraus.
Kaum hatte sie dies ausgesprochen, fuhr der Kopf des Hengstes zu ihr herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Lilli an. Es lag so viel Furcht und Zorn in diesem Blick, dass es Lilli den Atem verschlug.
Egobert schaute ebenfalls herüber.
»Storm stellt sich immer so an«, flüsterte Wolke. »Aber man muss ihn nun mal hart anfassen. Er ist sonst kaum zu bändigen. Egobert weiß, was er tut.«
Lilli schüttelte den Kopf. »Storm hat Angst vor ihm!«
Wolke öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann jedoch wieder. Unschlüssig blickte sie zu Egobert, der gerade wieder grob am Halfter zog. Der Hengst riss hektisch den Kopf zurück und wieherte schrill, aber Egobert ließ ihn nicht los. »Was sagt Storm jetzt?«, fragte Wolke.
»Er hasst Egobert.«
Wolke schluckte und schwieg.
Da schaute Egobert abermals zu Lilli herüber. Seine Augen bohrten sich regelrecht in ihre. Lilli wurde kalt. »Was redet ihr denn da?«, rief Egobert und wollte offenbar herüberkommen. Er zog Storm in Lillis Richtung, und mit einem Mal folgte ihm der Hengst ohne Widerwillen.
Kaum standen sie vor Lilli und den anderen beiden, verlangte Egobert zu wissen: »Was soll das Gerede darüber, was das Pferd sagt ? Ist das irgendein Spiel von euch?«
Lilli, Jesahja und Wolke schwiegen. Egoberts Blick war so unfreundlich, dass man es kaum wagte, sich auch nur zu bewegen. »Ich spreche mit euch!«, donnerte Egobert.
Jesahja murmelte: »Und Lilli spricht mit Tieren.«
»Was?«
Lilli schaute Jesahja erschrocken an. Aber dann wurde ihr klar, dass es am besten war, Egobert gegenüber gleich mit der Wahrheit herauszurücken. Er würde ihr Geheimnis früher oder später sowieso erfahren. »Ich … weiß, was Storm gesagt hat«, erklärte Lilli vorsichtig.
Egoberts Blick wurde noch drohender, und Lilli wäre am liebsten weggelaufen. Aber dann fasste sie sich ein Herz und sagte: »Er mag Sie nicht. Er will nicht mit Ihnen gehen.« Sie war froh, dass Jesahja und Wolke neben ihr standen, denn Egobert sah aus, als wollte er Lilli am liebsten erwürgen.
»Dann sagt er das eben!«, blaffte er. Überraschenderweise schien er ihr ohne Beweis zu glauben. »Hier geht es nicht darum, was das Pferd will!« Mit diesen Worten stampfte er davon und zerrte den widerstrebenden Storm mit ruppigen Bewegungen hinter sich her.
Lilli, Wolke und Jesahja standen perplex da und starrten ihm nach. Wolke schien das Gespräch sehr nachdenklich gemacht zu haben, aber sie sagte nichts. Nach einer Weile brach Jesahja das Schweigen. »Ich habe Durst.«
»Ich auch«, murmelte Wolke und schlug den Weg zum Haus ein. Als Lilli folgen wollte, fiel ihr ein, dass sie etwas vergessen hatte. »Ich muss ja noch die Satteltasche sauber machen, in die Bonsai gekotzt hat!« Sie stöhnte. »Ich komme später nach, okay?«
Wolke und Jesahja nickten.
Lilli marschierte zum Stall zurück. Als sie gerade hineingehen wollte, trat ihr plötzlich Egobert in den Weg. Er führte Storm, dem weißer Schaum vor dem Maul stand, noch immer am Halfter. Egoberts Miene war finster. »Wir beide sollten uns kurz unterhalten«, sagte er leise.
Lillis Herz begann zu rasen. »Worüber denn?«
»Weißt du, ich finde deinen kleinen Trick mit dem Hengst alles andere als lustig. Und ich kann gar nicht darüber lachen, wenn du jemandem erzählst, was der Hengst zu nörgeln hat.« Egobert stierte auf Lilli hinab und fügte zischelnd hinzu: »Wenn du schlau bist, lässt du dich auf dem Hof nie wieder blicken.«
Lillis Augen weiteten sich.
»Hast du
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